Donezk - Im Viertelfinale geht es auch oder vor allem darum, für wen genau nun das Herz schlägt. In der Vorgruppe war das weitgehend wurscht, weil der Meisterschaftsmodus einen gewissen Rest an Gelassenheit ermöglichte. Jetzt aber? Frage nicht!
Was also macht man mit England und Italien, wenn man weder Paul Scharner noch Herbert Prohaska ist? Sicher, man macht sich hauptsächlich keine Sorgen. Aber ganz ohne Sorgen lassen Fußballspiele sich nicht miterleben, höchstens anhören wie Parlamentsdebatten oder - dieser Hinweis darf jetzt nicht fehlen - der schöne Berlusconi'sche Wahlspruch: " Wer nicht hüpft, ist ein Kommunist."
Ungefähr in dieser Bunga-Bunga-Preisklasse spielt auch das Vorgeplänkel. Mario Balotelli, der 21-jährige dunkelhäutige Stürmer, der unterm Jahr bei Manchester City im Sold steht, wird ein wenig durch die insulare gelbe Presse gewatscht, der zufolge sein ManCit-Coach, Landsmann Roberto Mancini, Folgendes gesagt habe: "Ich schlage ihm vor, einfach das zu spielen, was er kann, und nicht mehr ein solcher Stachel im Arsch des Trainers zu sein." der STANDARD gibt das aus Gründen der Vollständigkeit wieder, aber nicht, ohne darauf hinzuweisen, dass diese - schwer distanzierfähige - Aussage sich in der Hauptsache darauf bezieht, dass diesem Mario Balotelli nach dem wunderbaren 2:0 gegen Irland vom Kollegen Leonardo Bonucci der Mund so zugehalten wurde, dass Balotelli das dem Trainer zu Sagende dem Trainer nicht sagen konnte zu seinem eigenen Schutz.
Und wer also soll oder wird gewinnen? Schwer zu sagen. Die Italiener werden das wohl sehr catenaccioesk anlegen. Nicht weil sie so defensiv agieren. Italien pflegt seit neuestem ja die alte Mattersburger Taktik des forcierten 3-5-2, wodurch das englische Spiel - die auf Wayne Rooney zugeschnittene Rudelbildung - wohl Gefahr laufen könnte, sich kolbenreiberartig festzulaufen.
Das alte Catenaccio im neuen SVM-Outfit hat vor allem den Endzweck des Elferschießens, was traditionellerweise den Engländern am meisten Angst macht, weshalb sie gerne auch zur Voodoo-Priesterin pilgern, die ihnen die Angst vorm Punkt nehmen könnte. Passen muss gegen England einzig Innenverteidiger Giorgio Chiellini, der wegen einer Oberschenkelverletzung nicht spielen kann.
Keine Angst
Bei Glen Johnson, Defender beim FC Liverpool, hat die spirituelle Behandlung schon gewirkt: "Ich würde schießen, wenn man mich fragt. Und ich bin sicher, jeder andere würde das auch." Die Italiener freilich wissen von den Bayern aus Monaco, dass ganz genau so auch ein Arjen Robben geredet hat. Und haben deshalb keine Angst.
Joe Hart, dem es bis jetzt immerhin gelungen ist, die traditionelle Goalieschwäche der Engländer zu reparieren, lässt sich davon kaum beeindrucken, im Gegenteil. "Ich habe meine Hausaufgaben gemacht und weiß, wo alle Italiener hinschießen." Ja mehr noch, geradezu tollkühn: " Ich würde einen der ersten fünf Elfmeter selbst schießen, wenn man das von mir verlangen würde."
Wird vielleicht, glaubt Carlo Ancelotti, Trainer bei Paris St.-Germain, nicht notwendig sein. Weil zwar: "Die Engländer sind wie Soldaten. Sie sind kompakt." Aber: "Mit ein wenig Fantasie kann man sie besiegen."
Und genau so eine Aussage macht dem Beobachter ein wengerl Angst vorm sonntägigen Viertelfinale: Italien, Fußball und Fantasie? Wie bitte? (wei - DER STANDARD, 23.6. 2012)
Technische Daten und mögliche Aufstellungen:
England - Italien (20.45 Uhr, Kiew, Olympiastadion, SR Pedro Proenca/POR).
England: 1 Hart - 2 Johnson, 6 Terry, 15 Lescott, 3 Cole - 16 Milner, 4 Gerrard, 17 Parker, 11 Young - 10 Rooney - 22 Welbeck
Ersatz: 13 Green, 23 Butland - 14 Jones, 12 Baines, 18 Jagielka, 5 Kelly, 19 Downing, 8 Henderson, 20 Oxlade-Chamberlain, 7 Walcott, 9 Carroll, 21 Defoe
Italien: 1 Buffon - 15 Barzagli, 16 De Rossi, 19 Bonucci - 2 Maggio, 8 Marchisio, 5 Motta, 21 Pirlo, 6 Balzaretti - 9 Balotelli, 10 Cassano
Ersatz: 14 De Sanctis, 12 Sirigu - 7 Abate, 4 Ogbonna, 18 Montolivo, 23 Nocerino, 17 Borini, 13 Giaccherini, 22 Diamanti, 11 Di Natale, 20 Giovinco
Es fehlt: Chiellini (verletzt)
Der Weg ins Viertelfinale:
England als Sieger der Gruppe D: 7 Punkte - 2 Siege, 1 Remis, 5:3 Tore
Italien als Zweiter der Gruppe C: 5 Punkte - 1 Sieg, 2 Remis, 4:2 Tore
Gesamtbilanz: 22 Spiele - 7 Siege England, 6 Remis, 9 Siege Italien
Bisher letztes Duell: Freundschaftsspiel am 27. März 2002 in Leeds, 2:1 für Italien