Olga Flor, Schriftstellerin, geboren 1968 und aufgewachsen in Wien, Köln und Graz, lebt in Graz. Sie studierte Physik und arbeitete im Multimediabereich. Seit 2004 ist sie freie Schriftstellerin. Ihr erster Roman "Erlkönig" erschien im Frühjahr 2002. "Talschluss" erschien im Frühjahr 2005 bei Zsolnay. Ihr Roman "Kollateralschaden" wurde für den deutschen Buchpreis 2008 nominiert. Elias-Canetti-Stipendium 201/2012. Ihr neuer Roman "Die Königin ist tot" erscheint im Herbst 2012 bei Zsolnay.

Foto: Standard/Heribert Corn

Eine Entrüstung über eine Einrüstung. Von Olga Flor.

Die Blitzsauberkeit des öffentlichen Raums fordert ihre Opfer: einstweilen nur räumliche Opfer, zum Glück, wie den Einschluss eines Stücks öffentlichen Raums im Grazer Stadtpark. Selbst wenn dieser Einschluss nur ein vorübergehender gewesen sein sollte, was zu hoffen ist, das Symbol bleibt: die Vergitterung des Luftraums unter dem Dach des Musikpavillons zum Zweck seiner Sauberhaltung von bestimmten, der Stadtverwaltung unliebsamen Elementen der Öffentlichkeit, nämlich den Grazer Stadtparkpunks und anderen unansehnlichen Erscheinungen.

Öffentlichkeit findet so unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Doch die Öffentlichkeit rächt sich. Wurde der eingeschlossene Pavillon (dessen Einrüstung man zunächst für ein diskursanregendes Kunstprojekt hätte halten können, was ja die Nachbarschaft zum Forum Stadtpark, einer mindestens ebenso altehrwürdigen Grazer Institution wie die Stadtparkpunks, auch räumlich nahegelegt hätte) zunächst von vereinzelten Pullover- und Teddybärarrangements geziert, so verkam er bis zur Räumung zur Mülldeponie: die Öffentlichkeit sondert ihren Müll ab und lagert ihn konsequent im ausgeschlossenen Teil des öffentlichen Raums. Sodass die Absicht der Säuberung sich jedenfalls im zu säubernden Bereich in ihr Gegenteil verkehrt hat.

Der von der Öffentlichkeit solcherart gesäuberte öffentliche Raum steht aber für mehr: Dort, wo keine kommerziellen Interessen (Schanigärten und Muttertagsmärkte, Punschhütten und sonstige jahreszeitspezifische alkoholschwangere Konsuminstallationen) regieren können, die im angemieteten öffentlichen Raum Öffentlichkeit vortäuschen, aber tatsächlich nur Raum für zahlende Gäste bieten, will man (die Stadtverwaltung) keine von ihr unkoordinierten Versammlungen, egal ob mit oder ohne alkoholische und musikalische Begleitung.

Deswegen wird ja auch die Innenstadt vom nicht durch Schanigärten und Budenzauber legitimierten Alkoholkonsum gesäubert: Er wird schlicht verboten. Aber, wie gesagt, nur außerhalb von Verkaufsflächen, die dem Gastgewerbe zur Verfügung gestellt werden, zu diesem Zweck (mithilfe von dekorativen Sichtschutzpaneelen und jahreszeitlich geschmückten Rankengittern) aus der Öffentlichkeit ausgegliedert und privatisiert werden, zumindest für die Dauer des Pachtvertrags, die auf den Unesco-Designtitel so stolze Stadtverwaltung will ja schließlich auch etwas davon haben.

Offenkundige Ratlosigkeit

Jedenfalls ist die Abschottung, die Vergitterung des Innenraums eine anschauliche Entsprechung für die offenkundige Ratlosigkeit der Politik angesichts einer Außenwelt, deren Strukturen zunehmend unübersichtlich werden, nicht nur für sie. Oder vielleicht sind sie sogar übersichtlich, unter dem richtigen Blickwinkel, also vom richtigen Standpunkt aus betrachtet, weil schlicht: fast alles für wenige, wenig für den Rest. Nicht, dass dieses Konzept neu wäre, neu ist immer nur die Form, in die es gegossen wird, und zuletzt hieß die Form "you want you can" oder: Du musst nur wollen. Nur dass diese Form zusehends an Glaubwürdigkeit verloren hat. Und angesichts der Verunsicherung liegt der Griff in die Sicherheitstrickkiste nahe.

Die Exklusivität des eigenen Sitzplatzes bedeutet den Ausschluss alles anderen, das ist das Wesen der Exklusivität, oder: Wenn ich die unpassierbare Schranke passiere, habe ich ein Interesse daran, alles andere auszuschließen, und weil ich fest daran glaube, dass ich sie eines Tages passieren werde, arbeite ich schon jetzt fleißig an ihrer Errichtung mit. Nur leider von außen, dumme Sache. Vom exklusiven Innenraum des Pavillons aus betrachtet wären die Stadtparkbäume durch die Vergitterung ästhetisch allerdings ein wenig in Mitleidenschaft gezogen.

Das spricht natürlich alles nur für die Theorie, dass die Summe der wirtschaftlichen Interessen Einzelner das Gesellschaftssystem, also die Basis des Zusammenhalts aller, am besten einrichten könne: Wenn die Vergitterung ein wenig positiver besetzt und als solche erfolgreich als Trademark eingeführt werden kann, was stünde den Einzelteilen der ehemaligen Öffentlichkeit nicht alles als Entfaltungsraum offen?

Die schönste Vergitterung wird durch die höchsten Verkaufszahlen belohnt; so wie jeder Staat im freien Wettbewerb der Steuersätze um die Gunst der global agierenden Konzerne buhlen kann, (lokale Klein- und Mittelbetriebe werden da nämlich kaum mithalten können, ihre örtliche Verwurzelung wird sie am freien räumlichen Flottieren hindern), so putzen sich die Freizeiträume mithilfe formschöner Sicherheitsschranken auf - denn so ein Unternehmen muss auch auf Infrastruktur für die Freizeitgestaltung seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen achten. Wobei die Nebenkosten für das Erzeugen des konsumfreundlichsten sauberen Umfeldes selbstverständlich wieder die Öffentlichkeit in ihrer handlichsten Form zu tragen hat, für irgendwas muss die öffentliche Hand ja da sein und nicht zuletzt auch den eingehobenen Pachtzins rechtfertigen.

Ist der vergitterte Stadtparkpavillon also ein zukunftsträchtiges und sinnstiftendes Symbol für die Privatisierung des Öffentlichen? Und vor allem: Wie werden die diversen Märkte reagieren, diese Sensibelchen? Das ist das Einzige, was zählt, und global wie lokal gesehen immer wieder eine nervenkitzelnde Sache. Wird dieses paradigmatische Modell die Marktteilnehmer zu Vergitterungseinrichtungen in Form von Palmkätzchen, Rosenranken und Tannenzweigen inspirieren? Fragen über Fragen.

Was hat man nicht alles versucht, um den innerstädtischen Verkaufsflächen einen adretten und sauberen Rahmen zu geben und die offenkundigen Auswüchse der Armut aus der Öffentlichkeit zu verdrängen: Die Obdachlosen hat man mit einer aneinandergeketteten Reihe von Blumenkistchen davon abhalten wollen, auf den Stufen des Brunnens vor dem Grazer Rathaus Platz zu nehmen, ein Versuch, der nicht von Erfolg gekrönt wurde, das Platznehmen - im wortwörtlichen Sinn - hingegen schon. Fast kein Monat vergeht, ohne dass rund um den Brunnen irgendeine Verkaufshüttenansammlung den Raum für sich beansprucht und ihre Claims absteckt.

Das Betteln wurde verboten, was dazu geführt hat, dass nun auch noch der oder die Unbegabteste sich in Musikdarbietungen versucht; die schalltechnische Lufthoheit konnte noch nicht gesichert werden, daran wird zu arbeiten sein. Auch das mit dem Trinkverbot könnte zu kreativen Lösungen führen (braune Papiertüten amerikanischen Stils zum Beispiel, in denen die Bierdosen vor den Blicken der Öffentlichkeit verborgen werden?); denn ganz so ernst kann es der Bürgermeister mit der Prohibition des Straßentrinkens auch nicht meinen, der Verkauf von Bierdosen und Flaschenalkoholika liegt schließlich im Geschäftsinteresse des einen oder anderen Innenstadtgewerbebetriebs, und was gäbe es Schützenswerteres als legitime Geschäftsinteressen?

Und die Märkte!

Zurück zum traurigen Musikpavillon im Grazer Stadtpark: Wenn der Einschluss die Verwendung als Müllbehälter bedeutet, vielleicht könnte man das Zumüllen des eingesperrten öffentlichen Raums beim nächsten Mal gleich mitverbieten? Ein Kordon von Sicherheitsbeamten könnte dieses neue Wahrzeichen der City of Sicherheitsdesign sicher in all seiner Sauberkeit und vor der Umwidmung zu einem gigantischen Restmüllsammelbehälter bewahren.

Interessante Wachablösezeremonien würden sogar den Tourismus beleben. Vielleicht könnte man aber auch die Öffentlichkeit als solche dazu bewegen, sich fortan selbst zu privatisieren und nur mehr unter Ausschluss des öffentlichen Raums zu existieren? Und die Märkte! Investoren! können sich endlich in die für sie am günstigsten gestaltete Öffentlichkeit, den lokalen Umschlagplatz ihrer Wahl einkaufen - nebenbei bemerkt: Als Kaufentscheidung verstanden hat so eine Wahl endlich wieder einen klangvollen Namen und eine sinnvolle Funktion -, dann bestimmt die Nachfrage den Preis der Staatsform, zumindest wenn man den Marktplatz vor lauter Stäben noch ausfindig machen kann. (Olga Flor, Album, DER STANDARD, 23./24.6.2012)