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Genf/Montreal - Was bisher als Gemeinplatz galt, ist nun auch wissenschaftlich bestätigt: Liebe und sexuelle Lust sind nicht das Gleiche - wenngleich sie große Ähnlichkeiten aufweisen. Ein Forscherteam unter Genfer Leitung berichtet, dass Liebe und Lust zwar unterschiedliche Gehirnregionen aktivieren, es dabei jedoch auffällige Überschneidungen gebe. Außerdem gleiche Liebe der Drogenabhängigkeit.

Die erste exakte Gehirnkarte für Lust und Liebe hat ein Team um Stephanie Cacioppo von der Universität Genf erstellt. Dafür analysierten die Psychologen 20 frühere Studien, bei denen sich Testpersonen zum Beispiel erotische Bilder oder Fotos von ihren Lebenspartnern angesehen hatten, während ihre Gehirnaktivität gemessen wurde.

Niemand habe bisher die Hirnaktivität bei diesen zwei eng verbandelten Gefühlen verglichen, erklärt Mitautor Jim Pfaus von der kanadischen Concordia Universität in einer Mitteilung der Hochschule. "Wir wussten nicht, was wir zu erwarten hatten." Die Gefühle hätten auch völlig unabhängig voneinander sein können.

Übergang von sexueller Lust in Liebe

Es stellte sich jedoch heraus, dass Liebe und sexuelles Begehren jeweils eigene, aber eng verwandte Gehirnregionen aktivieren. An zwei Gehirnstrukturen, der "Insel" und dem "Striatum", lässt sich der Übergang von sexueller Lust in Liebe nachvollziehen, wie die Wissenschafter jetzt im Fachblatt "Journal of Sexual Medicine" berichten.

Die "Insel" liegt hinter der Schläfe, und wird in neueren Studien mit Liebesempfindungen in Verbindung gebracht. Das "Striatum" liegt im Stirnbereich und ist Bestandteil bedeutsamer neuronaler Regelkreise für Emotionen und Kognition. Es ist unter anderem bei Gefühlen von (Un-)Gerechtigkeit aktiv.

Sexuelle Lust aktiviert im "Striatum" Regionen, die auch bei anderen lustvollen Tätigkeiten aufleuchten, wie Essen oder Sex. Liebe indes aktiviert Gebiete, die eher bei der Konditionierung auf angenehme Reize und der Bildung von Gewohnheiten involviert sind. Wenn somit aus Begehren Liebe wird, werden die Gefühle an andere Gehirnregionen "übergeben".

"Liebe ist eine Gewohnheit"

"Liebe ist eine Gewohnheit, die aus sexueller Lust entsteht, wenn diese befriedigt wird", schließt deshalb Pfaus. Dies sei keine schlechte Sache: Die Gehirnregionen, die bei Liebe in Aktion treten, spielen bei der Paarbindung und Monogamie eine Rolle.

"Während sexuelle Lust ein spezifisches Ziel hat, nämlich die Fortpflanzung, ist Liebe eher abstrakt und komplex", sagte Pfaus. Deshalb sei sie weniger abhängig davon, ob der Partner tatsächlich anwesend sei. Das sei nützlich, da auch Frischverliebte irgendwann wieder einem Broterwerb nachgehen müssen.

Interessanterweise sei im Gehirn der Prozess, wie Liebe zur Gewohnheit wird, jenem ähnlich, wenn Menschen von Drogen abhängig werden, sagte Pfaus. Es sei derselbe Teil des "Striatums" involviert. Somit lässt sich wohl auch die Obsession Liebender für einander mit der Gehirnkarte erklären. (APA/red, derstandard.at, 23.6.2012)