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124-Pfund-Catfish (ohne panierte Essiggurken).

Foto: EPA/TIM PRUITT

New Yorker zeigen wenig Verständnis, wenn ich ihnen aufgeregt von meinen Reiseplänen nach Mississippi erzähle. "Was willst du bei den Hinterwäldlern?" oder ein süffisantes "Viel Spaß in Amerikas Achselhöhle" bekomme ich dann zu hören. Keiner geht freiwillig nach Mississippi. Es ist Amerikas Schandfleck, ein Entwicklungsgebiet, das die Aufmerksamkeit der Weltbank, der UNO und Angelina Jolies verdienen würde.

Der Staat hat die höchste Analphabetenrate, die meisten Teenagerschwangerschaften und die dicksten Männer und Frauen im ganzen Land. Erst kürzlich wurde Mississippis Lehrern verboten, ihre Schüler mit Handschellen zu fesseln, wenn sie gegen die Schulordnung verstoßen haben. (Ihre Schüler mit einem Paddel disziplinieren dürfen sie hingegen nach wie vor.)

Niemandsland für Touristen

Unterwegs in Amerikas Süden - als Fußgänger, der auf die Gnade öffentlicher Verkehrsmittel und großzügiger Autofahrer angewiesen ist - mache ich halt in Jackson, Mississippis Hauptstadt, einem Dschungel voll wuchernder Natur, in die sich gelegentlich ein paar dürftig asphaltierte Straßen, Fast-Food-Ketten und Apotheken verirrt haben. Es ist ein touristisches Niemandsland, in dem selbst die Einheimischen irritiert sind, wenn sie jemand von auswärts besuchen kommt. John, mein Bekannter in Jackson, entschuldigt sich, dass es kaum etwas für mich zu besichtigen gibt, außer einer Straße und einem Diner, das dem Film "The Help" als Kulisse diente.

Prompt haben mich er und seine Freunde adoptiert, füttern mich mit paniertem Catfish und panierten Essiggurken, zeigen mir stolz ihre Bobostraße im Norden der Stadt und beeindrucken mich mit ihrem Wissen über Literatur, Musik und Geschichte. Gelegentlich verweisen sie stolz und traurig auf die Zeit vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg, der Hochblüte Mississippis, als es noch ein reicher Staat war, der nicht als Amerikas Achselhöhle verschrien war.

"Wir sind hier ein bisschen provinziell, das seid ihr aus Europa nicht gewöhnt", meint John. Seine Eltern kamen in den 80er Jahren aus Taiwan nach Mississippi. Anfangs legten ihnen die Einheimischen tote Tiere als Willkommensgeschenk vor die Haustür. Mittlerweile hat man sich an die Asiaten gewöhnt. In der lokalen Hierarchie sind sie immerhin eine Stufe höher angesiedelt als die schwarzen Bürger, gibt mir John zu verstehen.

Segregation ist nach wie vor ein Thema. In den Privatschulen finden sich kaum Schwarze, ihre Hochschulen, die früher ausschließlich für Schwarze zugänglich waren, werden als Ghetto-Universitäten belächelt. Man hat schwarze Bekannte und Freunde, erklären mir John und seine Freunde. Aber ich müsse verstehen, dass die Afroamerikaner eine andere Kultur und Geschichte hätten und der Austausch daher schwierig sei. Aha. So ist es eben in Mississippi, verdammt. (Solmaz Khorsand, derStandard.at, 21.6.2012)