Unter Ernst Strasser hat er dem Ministerium ein Altarbild gestiftet, Evangelist der ÖVP will er nicht sein: Christian Konrad.

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Christian Konrad will von der ÖVP, dass sie wie ein angeschossener Eber angreift. Warum er gegen den Kardinal verlor und welche Figur er beim Yoga macht, erzählte er Renate Graber.

STANDARD: Wann waren Sie das letzte Mal ohnmächtig?

Konrad: Als ich meine Tochter Ulla sah, nach einem Unfall im Spital, mit Schläuchen in der Nase. Da bekam ich plötzlich irrational Angst, das könnte schlimmer sein. Ich ging auf den Gang - und das nächste, woran ich mich erinnere, ist eine freundliche Ärztin, die sich über mich gebeugt hat.

STANDARD: Im übrigen Leben...

Konrad: ... werde ich nicht ohnmächtig. So einfach wirft man mich nicht aus der Bahn.

STANDARD: Ich frage, weil Sie so kokett sagen, Sie hätten keine Macht.

Konrad: Stimmt auch. Meine Macht besteht in der Tatsache, dass ich in allen Funktionen demokratisch gewählt bin, von meinen Vollmachten Gebrauch mache, sehr lange auf der Welt bin, sehr viele Funktionen hatte und daher sehr viele Menschen kenne.

STANDARD: Wer ist denn mächtig?

Konrad: Die Regierung sollte politische Macht haben.

STANDARD: Sie haben die ÖVP unlängst in einem Interview mit einem angeschweißten Keiler verglichen, also mit einem angeschossenen männlichen Wildschwein.

Konrad: (lacht) Ich stehe zu diesem Vergleich. Wenn er stimmt, dann wünsche ich mir von der ÖVP, dass Sie wie ein angeschweißter Keiler reagiert - und angreift.

STANDARD: Die rot-schwarze Regierung nützt ihre Macht nicht?

Konrad: Offenbar zu wenig. Wie man sieht, fehlen Entscheidungen zu wichtigen Fragen, die man längst für gelöst erklärt hat. Da geht aus Sorge vor den nächsten Wahlen sehr lange wenig bis nichts weiter - aber das gilt ja auch für Europa. Das ist unser Dilemma: Wir sind falsch aufgestellt, es müsste schnellere Entscheidungen geben, wir brauchen eine europäische Wirtschaftsunion. Was können die Griechen dafür, dass die politische Führung nicht funktioniert? Sich wegdrehen und sagen: „Die sollen sich selbst helfen", das ist nicht mein Verständnis eines solidarischen Europa. Es gibt ja auch Medien, die diese Meinung vertreten.

STANDARD: Die "Krone" etwa, sie gehört zum Raiffeisen-Reich.

Konrad: Namen hören Sie von mir keine.

STANDARD: Ich habe Ihnen den "Augustin" mitgebracht. Sie fahren nie U-Bahn, kommen nicht an den Obdachlosen vorbei, die ihre Zeitung verkaufen...

Konrad: Ich habe den Augustin jahrelang gekauft, weil mir die Verkäufer leid tun.

STANDARD: Da haben Sie meinen.

Konrad: Ich will ihn nicht.

STANDARD: Weil "Augustin" raiffeisenkritische Artikel veröffentlicht?

Konrad: Die falsch sind.

STANDARD: Wenn das so ist: Reagieren Sie darauf?

Konrad: Nein.

STANDARD: Sie gehen jetzt, nach 44 Jahren Raiffeisen. Sentimental?

Konrad: Sentimental bin ich überhaupt nicht. Ich bin froh, dass meine Ämter in sehr gute Hände übergehen. Für die vielen Herausforderungen gibt es jetzt neue, junge, unverbrauchte Kräfte.

STANDARD: Jung? Walter Rothensteiner ist 59, Erwin Hameseder 56. Sie selbst sagen, Sie übergeben, bevor Ihre Nachfolger "vergreisen".

Konrad: Eben: bevor sie vergreisen, so lange sie noch jugendlich sind.

STANDARD: Weil Sie von Herausforderungen reden: Sie sagen, die Krise sei Zeichen eines weltweiten Werteverlusts. Für Jean Ziegler ist Moral eine akademische Frage...

Konrad: Also wirklich nicht. Moral ist eine Grundhaltung, die heißt: Ich weiß, was gut und was böse ist und halte mich daran. Diese Haltung kommt aus der Prägung, dem Milieu, der Familie. Da gibt es ein funktionierendes Gewissen, da gibt es kein Wanken.

STANDARD: Wo ist das Gewissen von Leuten wie Grasser oder Strasser?

Konrad: Die haben keinen inneren Halt und kein Unrechtsbewusstsein. Bemerkenswert. Ich glaube, dass sie ein paar Mal über die Grenze dessen, was man tut, gegangen sind, das hat funktioniert - und sie sind weiter gegangen. Ich würde bei solchen Vorwürfen weit untertauchen, in einem fernen Land, und mich schämen.

STANDARD: Dann hätten Sie die Interpol am Hals.

Konrad: Auch das hinterste Waldviertel kann ein fernes Land sein.

STANDARD: Strasser kennen Sie schon lange. Auch beim Blaulichtfunk hatten Sie mit ihm zu tun...

Konrad: Ja, und in seiner Ära wurde im Innenministerium eine vergessene Kapelle restauriert, ich habe das Altarbild gestiftet. Hängt heute noch dort. Wie oft Strasser dort beten war, weiß ich nicht. Das Kreuz hängt jedenfalls noch dort.

STANDARD: Gehen Sie oft beichten?

Konrad: Nicht sehr oft.

STANDARD: Kein Bedarf?

Konrad: Bedarf hätt‘ ich sicher. Aber Todsünden habe ich keine. Dabei lassen wir's.

STANDARD: Ihr Stehsatz lautet:"„Der Konrad lügt nicht." Es ist doch nicht vorstellbar, dass das stimmt.

Konrad: Dann haben Sie eine begrenzte Vorstellungskraft.

STANDARD: Zum Anständigsein reicht die Einhaltung der Zehn Gebote, sagen Sie. Da können Sie jetzt als Pensionist den Dekalog in den neuen ÖVP-Ethikkursen lehren?

Konrad: Nein. Ich suche keine neuen Aufgaben, und bin ja nicht der Verkündiger. Ich bin kein Evangelist - ich bin Pensionist.

STANDARD: Aber eine Partei könnten Sie gründen. Pirat Konrad.

Konrad: Davon halte ich gar nichts, es gibt genug Parteien. Die Piraten sind eine Modeerscheinung, ein Phänomen wie alternde steirische Exilkanadier. Nein, ich kann jetzt Gott-sei-Dank mehr jagen gehen.

STANDARD: Apropos: 2000 reisten Sie durch die libysche Wüste, was hat Ihnen dort so gefallen?

Konrad: Ja, da waren wir wirklich am Sand. Die Weite, die Ruhe haben mich fasziniert, und die Stille in der Nacht. Da hört man gar nichts - und damals hatte ich noch nicht einmal meinen Tinnitus. Heut würde ich den hören.

STANDARD: Wo ist eigentlich das Hirschgeweih aus dem alten Büro?

Konrad: (deutet in eine Ecke) Der Hirsch liegt noch da hinten.

STANDARD: Den haben Sie vier Jahre lang gejagt. Sie können also auch geduldig sein.

Konrad: Beharrlich, geduldig, zäh.

STANDARD: Beim Jagen.

Konrad: In vielfältiger Form: immer, wenn ich ein Ziel verfolge.

STANDARD: Ihr Gewicht bekämpfen Sie auch zäh, bei Kuren in Kärnten.

Konrad: Nicht mehr. Jetzt fahre ich nach Sri Lanka: Ayurveda.

STANDARD: Da bekommen sie Öl über den Kopf geleert.

Konrad: Wenig Öl, viel Yoga.

STANDARD: Jö, kann man Sie sich da so vorstellen? (verrenkt sich)

Konrad: Sie können sich mich als Baum vorstellen. Auf einem Bein stehend, das andere Bein abgewinkelt und die Hände überm Kopf gefaltet. Das ist wirklich ein interessanter Anblick.

STANDARD: Müssen Sie und Ihre Freunde in Sri Lanka auch tausend Euro für einen guten Zweck spenden, wenn Sie Ihr Körpergewicht nicht um sieben bis zehn Prozent verringern?

Konrad: Nein, das haben wir eingestellt. Die Kärntner Kur-Freunde, zu denen auch Rudi Streicher gehört, kontrollieren aber das Gewicht der anderen in unregelmäßigen Abständen.

STANDARD: Da kommt Streicher und stellt sich bei Ihnen auf die Waage?

Konrad: Nein, wir gehen miteinander in ein Wiener Beisl und schauen, ob das Sakko zugeht.

STANDARD: Und, wie geht‘s grade mit dem Sakko?

Konrad: Schauen Sie: Es geht zu. Auch im Sitzen, locker.

STANDARD: Stichwort Anblick. Erwin Pröll sagt, Leute, die sich vor ihm fürchten, sind „selber schuld". Sie müssen ja nicht einmal wo anrufen, und alle springen schon.

Konrad: Ich habe auf Grund meiner beruflichen Erfahrung ein gewisses Maß an Autorität, sodass man mir auch folgt, wenn ich nichts anschaffen kann.

STANDARD: Ich glaube, die Leute fürchten sich vor Ihnen.

Konrad: Das schließe ich nicht zur Gänze aus, aber da halte ich es mit Erwin Pröll: selber schuld. Denn für Sachargumente bin ich ja zu haben. Nur manche sind halt stur.

STANDARD: Wie können Sie Respekt haben vor solch untertänigen Leuten?

Konrad: Mir sind eh Leute lieber, die mitdenken und sagen, wenn sie andrer Meinung sind. An den Unkritischen verliere ich das Interesse und wende mich ab.

STANDARD: Erwin Pröll hat Sie einst davor gewarnt, Sie könnten an der Fülle Ihrer Ämter ersticken. In Ihren besten Zeiten hatten Sie rund 90 Funktionen gleichzeitig

Konrad: Der Erwin Pröll? Glaube ich nicht.

STANDARD: Doch. 1994 in der Presse.

Konrad: Also, ich war gestern mit ihm bei 50 Jahre Raiffeisenbank Tulln. Je älter wir werden, umso mehr Gleichklang gibt es.

STANDARD: Sie werden einander wie ein altes Ehepaar immer ähnlicher?

Konrad: Wir sind beide älter geworden, ich mehr, er weniger...Wir vertragen uns sehr gut.

STANDARD: Wieder. Sie waren in der Ära Vizekanzler Josef Pröll sehr gegen seine Kandidatur als Bundespräsident

Konrad: Da gab es Spannungen, aber in so einer langen Beziehung von 30, 35 Jahren ist das doch ganz normal. Wir sind beide eher Alphatierchen - da ist es ohnedies verwunderlich, dass wir uns nach so langer Zeit noch immer in die Augen schauen und ein Glasl Wein mit einander trinken können.

STANDARD: Wer ist denn eigentlich Ihr herausforderndster Gesprächspartner?

Konrad: Mit Christoph Schönborn habe ich sehr lange gerungen.

STANDARD: Als Chef von "Unser Stephansdom" wollten Sie ein unterirdisches Besucherzentrum unterm Dom bauen. An Kardinal Schönborn sind Sie gescheitert.

Konrad: Wenn Sie so wollen, ja. Wir haben uns etwas gemeinsam vorgenommen, ich habe mich an die Regeln gehalten, aber er hat dann umgeschwenkt. Ich konnte ihn nicht überzeugen.

STANDARD: Schönborn ist Ihnen halt hierarchisch überlegen. Er ist dem Himmel näher als Sie.

Konrad: Das hoffe ich für ihn, dass er dem Himmel noch näher ist als ich. Wobei: Rein formal hätte das autonome Domkapitel das Projekt beschließen können.

STANDARD: In der Kirche geht es halt auch irdisch zu. Aber machterhalttechnisch ist sie überirdisch gut.

Konrad: Ja, die Kirche weiß, was Machterhalt ist.

STANDARD: Ferdinand Lacina sagt, einTraumjob wäre Kardinalstaatssekretär: Als solcher lerne man Machterhalt am besten.

Konrad: Wer?

STANDARD: Ferdinand Lacina.

Konrad: Mit ihm habe ich mich letztmals 1992 unterhalten.

STANDARD: Da war er Finanzminister, mit ihm haben Sie über den Kauf der Creditanstalt geredet. Bekommen hat die aber die Bank Austria. Große Niederlage für Sie.

Konrad: Das war eine Niederlage, weil nicht sachlich argumentiert wurde, sondern rein politisch. Es gab damals auch viele Stimmen in der ÖVP, die dagegen waren, dass Raiffeisen, die Bauern, diese Bank bekommen. Ich habe es akzeptiert, wir wendeten uns anderen Projekten zu. Daraus wurde eine starke Versicherung.

STANDARD: Was war denn abgesehen von der CA Ihre größte berufliche Niederlage?

Konrad: Ein Quell ständigen Ärgernisses sind mir die Mediaprint-Verträge über die Gesellschafterrechte (regeln auch die Gewinnverteilung zwischen den Gesellschaftern von Krone und Kurier; Anm.). Da wurden wir nicht vollständig informiert, das ist auch heute noch ein Quell ständiger Unruhe.

STANDARD: Mit der Versicherung meinen Sie die Uniqa, deren Präsident Sie bis vor kurzem waren. Sie steht gar nicht gut da.

Konrad: Die Uniqa hat ein Jahr der Restrukturierung hinter sich und ist heuer wieder auf gutem Weg. Ich mache mir da keine Sorgen. Während die Bank Austria jetzt sogar ihr Hauptgebäude verkauft. Ja: Sic transit gloria mundi.

STANDARD: Ein schönes Gebäude.

Konrad: Sic transit gloria mundi. Aus der Schottengasse wird jetzt wahrscheinlich ein Hotel.

STANDARD: Sie bauen auch einen Büroturm am Donaukanal. Keine Angst, dass daraus ein Hotel wird?

Konrad: Das hier? Kann kein Hotel werden. Das ist ein Bankgebäude und Kommunikationszentrum, das wir nutzen; auch für Diskussionen wie jüngst zum Thema „Hat die Welt einen Baumeister?"

STANDARD: Hat sie einen?

Konrad: Die Mehrheit war der Auffassung, es gibt einen Gott. Was im Raiffeisenhaus zu erwarten war.

STANDARD: Die Diskutanten hätten draußen etwas anderes gesagt?

Konrad: Aber nein. Aber dieses Haus ist eines der wenigen, wo der Portier nicht "Guten Tag" sagt. Bei uns grüßt man mit "Grüß Gott". Beginnend mit mir, seit 40 Jahren.

STANDARD: Weil wir vorhin bei den Zehn Geboten waren. Sie haben vom Vatikan das Komturkreuz des Silvesterordens verliehen bekommen. Tragen Sie das am Opernball?

Konrad: Kirchliche Orden trägt man nicht auf Bällen, sondern nur zu kirchlichen Anlässen.

STANDARD: Oh, touché. Als Silvesterordensträger dürfen Sie am Pferd in den Petersdom reiten...

Konrad: Vielen Dank. Das weiß ich.

STANDARD: Wissen Sie, was Sie noch dürfen?

Konrad: Anrecht auf eine Grabstätte habe ich nicht.

STANDARD: Doch, doch, begraben werden Sie sicher.

Konrad: Aber nicht im Vatikan.

STANDARD: Also, Sie dürfen sich die Silvesteruniform schneidern und das Silvesterschwert schmieden lassen.

Konrad: Habe ich beides nicht getan. Meine Schwerter sind die Jagdmesser, die sammle ich. An die 30 habe ich schon. Es gibt noch sehr gute Messermacher, auch in Österreich. Lesen Sie das Waidwerk. (Jägerzeitung; Anm.)

STANDARD: Lag heute nicht vor Ihrem Büro auf. Mir ist übrigens aufgefallen, dass der Satz "Die Gier ist ein Luder" halb aus der Waidsprache kommt: Luder ist Aas, das als Köder für Raubwild dient.

Konrad: Richtig. Bravo. Und in Afrika werden Tiger und Pumas angeludert.

STANDARD: Im "Falter" haben Sie einst gesagt: "Ich möchte in den Himmel kommen. Sind Sie ihm inzwischen schon näher?

Konrad: Ich hoffe. Ich bin dem Ende jedenfalls näher und neugierig, wie es da drüben ausschaut.

STANDARD: Was glauben Sie?

Konrad: Ich halte es mit Gustl Paterno (verstorbener Kaplan; Anm.), der sagte: „Der Himmel ist ein ewiges Gastmahl. Damit wir uns dort zurecht finden, müssen wir zu Lebzeiten fest trainieren." Diesen Rat befolge ich: Ich trainiere.

STANDARD: Was, wenn die dort drüben dann sagen: „Hier ist Diät"?

Konrad: Noch bin ich ja hier und habe ein bisserl Zeit zum Überlegen.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Konrad: Darum, sich selbst treu zu bleiben und ums wichtigste christliche Gebot: Liebe deinen Nächsten so wie dich selbst. (DER STANDARD, 23/24.6.2012)