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Bernd Riexinger: "Ich fürchte eine Dauerkrise. Und zwar nicht nur in den Problemländern, sondern auch in Europa selbst."

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Die griechischen Zeitungen meinen es nicht gut mit den Deutschen.

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Viel Luft nach oben haben sie nicht, die Griechen. Hier wie dort - in Wirtschaft und Sport. Und so hat Deutschland am Freitag im K.-o-Spiel den wohl schwächsten Gegner der Fußball-EM 2012 vor sich. "Unterdrücker trifft Unterdrückte", "Gläubiger trifft Schuldner", feixen griechische Tageszeitungen.

Wie wenig weit sie damit von der Realität und einem Schlusspfiff entfernt sind, weiß auch der frisch gewählte Bundesvorstand der deutschen Linken, Bernd Riexinger. Im Gespräch mit derStandard.at geht er mit der Politik seines Landes hart ins Gericht: Deutschland sei ein Mitverursacher der Krise, Kanzlerin Angela Merkel wünscht er eine europäische Isolation und auch für die Rolle des IWF und dessen Chefin Christine Lagarde hat er kein Verständnis.

derStandard.at: Am Wahlsonntag machten Sie der linken SYRIZA über Facebook Mut: "Alles Gute für die Wahl, Genossinnen und Genossen! Wir drücken Euch ganz fest die Daumen!" Wie verbunden fühlen Sie sich Alexis Tsipras?

Riexinger: Meiner Meinung nach steht Alexis Tsipras für eine außerordentlich kluge Politik in Griechenland. Auch nach der Wahl verbindet er sehr klug außerparlamentarischen Widerstand mit parlamentarischer Arbeit: Es ist der richtige Weg, einerseits für einen Verbleib im Euro einzustehen und gleichzeitig das Memorandum und die Vorgaben der Troika abzulehnen, weil Letztere für das griechische Volk katastrophal sind.

derStandard.at: Tsipras kündigte an, bei einem Wahlsieg die Sparpläne der Troika auf Eis zu legen. Ein Euro-Austritt wäre dadurch doch nur näher gerückt?

Riexinger: Da wäre ich mir nicht so sicher, wissen doch die anderen Länder der Eurozone nicht genau, welchen Dominoeffekt ein Austritt auslösen würde. Ich denke, auch mit der Wahl der Konservativen und der PASOK als Regierungsparteien wird das Thema Euro nicht vom Tisch sein. In drei Monaten reden wir weiter.

derStandard.at: Steht Griechenland Ihrer Meinung nach durch die neue Regierung das vielzitierte Ende mit Schrecken oder der Schrecken ohne Ende bevor?

Riexinger: Ich befürchte eine Dauerkrise. Und zwar nicht nur in den Problemländern, sondern in ganz Europa. Sehen wir uns Griechenland an: Bei sieben Prozent Minuswachstum ist es unmöglich, Schuldzinsen in Höhe von sieben Prozent bedienen können. Es ist der helle Wahnsinn. In Spanien und Italien wird es nicht viel anders aussehen. Derart hohe Zinsen können nur durch entsprechendes Wirtschaftswachstum bezahlt werden. Sinkende Löhne, Rentenkürzungen, Einschnitte im Sozialsystem und Zusammenstreichen von öffentlichen Investitionen sind daher absolut kontraproduktiv. Die Regierung arbeitet gegen das eigene Volk.

derStandard.at: Sie haben kein Vertrauen in die neue griechische Regierung, einen Weg aus der Misere zu finden?

Riexinger: Sie kann keinen Weg finden, weil sie sich völlig dem Diktat der Troika unterordnet. Ihr einziger Spielraum ist derzeit die zeitliche Streckung, was aber nichts daran ändert, dass der grundsätzliche Kurs dieser Regierung die Krise nur noch vergrößern wird. Die Einschläge werden auch in Deutschland spürbar sein - und sie rücken näher.

derStandard.at: Was genau verstehen Sie unter "Einschlägen"?

Riexinger: Die Anzeichen, dass sich die wirtschaftliche Lage gerade in Deutschland verschlechtert, häufen sich. Völlig logisch, wenn man bedenkt, dass Deutschland durch die permanenten Exportüberschüsse die Krise mitverursacht hat. Wenn andere Länder dauerhafte Defizite produzieren, werden diese Überschüsse zum Bumerang. Der Euro als einheitliche Währung macht tendenziell die Starken stärker und die Schwachen schwächer. Sprich, Staaten, in denen die Wirtschaft darniederliegt, werden wohl kaum deutsche Produkte kaufen. Zum anderen müssen die Löhne in Deutschland dringend steigen.

derStandard.at: Hätte Tsipras Griechenland aus der Krise führen können?

Riexinger: Es wäre eine ungeheuere Herausforderung für ihn gewesen. Doch er hätte zumindest den Versuch unternommen, alternative Lösungsansätze, die nicht auf dem Rücken der Mehrheit des griechischen Volkes ausgetragen werden, zu finden. Sparen führt zu keinem wirtschaftlichen Aufschwung. Griechenland muss dringend in die öffentliche Infrastruktur und die industrielle Entwicklung investieren sowie Kürzungen bei den Mindestlöhnen und Renten zurücknehmen.

Die Reichen, die sich mit ihren riesigen Vermögen ins Ausland absetzen, müssen zur Kassa gebeten werden. Nur so kann man die Mittel für die staatliche Politik wieder hereinholen. Sein Ansatz im Kampf gegen die Krise wäre wesentlich erfolgversprechender gewesen als das, was uns jetzt die Konservativen und Sozialdemokraten vorlegen.

derStandard.at: Der ehemalige Vorsitzende der Linken, Klaus Ernst, gibt der Bundesregierung eine Mitschuld an der dramatischen Zuspitzung in Griechenland. Zu Recht?

Riexinger: Ja. Angela Merkel löscht das Feuer permanent mit zu wenig Wasser. Dadurch entstehen immer neue Brandherde, die nur noch mehr Wasser benötigen. Ein Beispiel: Die Linke in Deutschland hat schon vor drei Jahren Eurobonds gefordert. Es war völlig klar, dass die Krisenländer die Zinslast nicht tragen können. Selbst der französische Präsident François Hollande tritt vehement für die Eurobonds ein, Merkel bleibt stur und lehnt sie immer noch ab. Eigentlich ist es für die ganze Diskussion schon zu spät, denn heute reichen Eurobonds längst nicht mehr aus. Mittlerweile bräuchten wir eine Direktvergabe der Kredite durch die Europäische Zentralbank oder durch eine entsprechende öffentliche Bank, sollte dies rechtliche Probleme mit sich bringen.

derStandard.at: Wurde Griechenland für die Banken geopfert?

Riexinger: Das kann man so sagen. Denn es ist Unsinn, dass die EZB den Banken Geld zu einem Zinssatz von einem Prozent gibt, das diese dann an Griechenland, Spanien oder Italien mit sieben Prozent weiterverleihen. Noch einmal: Um eine Entlastung für die wirtschaftliche Entwicklung zu erreichen, muss man Möglichkeiten finden, dass die EZB direkt zinsgünstige Kredite an die Eurostaaten geben kann. Das jetzige System ist eine Gelddruckmaschine für die Banken.

derStandard.at: Gerät Deutschland mit seiner starren Haltung in Europa in die Isolation?

Riexinger: Ja, durchaus. Ich denke, in Europa findet zurzeit eine zentrale Auseinandersetzung darüber statt, ob eine neoliberale Hegemonie vertraglich sich durchsetzt und in Stein gemeißelt wird oder ob es einen Linksruck gibt und demokratische und soziale Alternativen überhaupt noch eine Chance haben. Den Linksruck haben wir bereits in Griechenland gesehen, aber auch in Frankreich und ein Stück weit in Spanien sowie in Italien auf regionaler Ebene. Man kann also nur hoffen, dass die Linkskräfte weiter zulegen und Merkel mit ihrer Politik tatsächlich in die Isolation gedrängt wird.

derStandard.at: Im Raum steht auch der Vorwurf, dass sowohl die EU als auch der IWF Griechenland in den Bankrott treiben.

Riexinger: Wird der derzeitige Weg fortgeführt, spricht die Realität leider für diese These. Seit Griechenland unter das Kürzungsdiktat gestellt wurde, erwirtschaftete das Land zweimal in Folge ein Minuswachstum. Die Wirtschaft ist seit 2010 um zehn Prozent eingebrochen, und diese Entwicklung beschleunigt sich. Gleichzeitig nehmen die Schulden zu und es sieht nicht danach aus, dass sich Griechenland am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen könnte.

derStandard.at: Sollte Griechenland nicht besser aus dem Euro austreten?

Riexinger: Nein, das wäre noch verheerender als die Situation jetzt. Ein Austritt würde sofort zu einer humanitären Katastrophe führen. Griechenland würde seine Schulden behalten, würde gleichzeitig nicht einmal mehr die nötigen Importe finanzieren können und im schlimmsten Fall die Bevölkerung nicht mehr vernünftig ernähren können. Natürlich bleibt das strukturelle Problem des Euro, das für alle wirtschaftlich schwächeren Länder gilt, bestehen: Bei einer einheitlichen Währung und unterschiedlicher wirtschaftlicher Dynamik und Produktivität zwischen den Ländern besteht eine direkte Lohn- und Sozialkonkurrenz. Dieses Missverhältnis kann nur behoben werden, wenn in Europa eine Politik der wirtschaftlichen und sozialen Angleichung erfolgt. Das ist aber das absolute Gegenmodell zu dem, was Merkel betreibt.

derStandard.at: Ist Griechenland nichts weiter als der Spielball der Börsen?

Riexinger: Nicht nur Griechenland. Die gesamte Politik soll sich dem Diktat der Finanzmärkte unterwerfen. Es rächt sich jetzt bitter, dass selbst nach 2008, als viele Länder sehr tief in den Abgrund blickten, die Märkte nicht reguliert wurden. Im Gegenteil: Die Banken und Investmentgesellschaften dürfen, wie gehabt, weiter kräftig gegen den Euro oder gegen Staaten wie Griechenland und Spanien spekulieren. Das einzige Gegenmittel wäre, das Vertrauen der Märkte in die Politik zurückzugewinnen.

derStandard.at: Christine Lagarde, Chefin des IWF, meinte jüngst: "Ich habe mehr Mitleid mit den Ärmsten in Afrika als mit den Menschen in Griechenland. Die Griechen sollen sich selbst helfen, indem sie alle ihre Steuern bezahlen." Sind weitere Hilfsgelder noch ethisch vertretbar?

Riexinger: Leider hat Frau Lagarde völlig übersehen, wer in Griechenland keine Steuern gezahlt hat. Jene 2.000 reichen Familien, denen fast das komplette Geldvermögen im Land gehört, zahlen seit Jahren keine Steuern. Das wurde und wird von der Regierung unterstützt. Die einzig Leidtragenden, nämlich die griechische Bevölkerung, zu beschimpfen halte ich für unfassbar, und es spricht Bände über das Verständnis dieser politischen Klasse.

derStandard.at: Ein altes griechisches Sprichwort sagt: "Mancher, der reinen Tisch macht, beschmutzt nur den Fußboden." Wie sehr trifft das zu?

Riexinger: Es wurde kein reiner Tisch gemacht. Wir werden in den nächsten drei Monaten erleben, dass es keine Lösung für Griechenland geben wird. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 21.6.2012)