Reden über Posten und wie sie von der Politik besetzt werden (v. li.): Politaktivist Niko Alm, Nationalbank-Präsident Claus Raidl, Grünen-Landespolitiker Michael Reimon und Innsbrucks Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer mit Moderator Gerfried Sperl.

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Wien - Ein Pensionist macht seinem Ärger Luft: "Bei uns fängt es beim Fußballverein an und endet in der Bundesregierung", klagt er. Gemeint ist das, was in Österreich oft als Packelei beschrieben wird - oder ganz trocken als Proporz. Im Kleinen wie im Großen würden da die Posten verteilt.

Mit Gerfried Sperl diskutierten Niko Alm, Claus Raidl, Michael Reimon und Christine Oppitz-Plörer.

Das Montagsgespräch in voller Länge (Teil 2).

Eine Ansicht, die während des Montagsgesprächs des STANDARD im Haus der Musik immer wieder aufblitzt, das der Frage "Wie geht es ohne Proporz?" nachgeht. Die Antwort von Claus Raidl lautet: Gar nicht. "Es wird immer Proporz geben", sagt der Nationalbank-Präsident: "Ich würde den Proporz nicht verteufeln. Es ist logisch, dass Machthabende versuchen, Posten mit ihren Leuten zu besetzen." So sollte jeder "Minister das Recht haben, sich seine Leute aussuchen zu können." Und ganz ernüchternd: "Das ist die Natur der Menschen." Problematisch seien die Auswüchse - also " Nepotismus und patrionale Systeme".

"Typisch österreichisch"

Genau das benennt der burgenländische Landtagsabgeordnete der Grünen, Michel Reimon, als das große Problem - ein noch immer geltendes: Ausschreibungen seien nach wie vor eine Farce, denn Reimon weiß aus seinem Heimatland zu berichten: "Ich kann Ihnen schon Monate vorher sagen, wer es wird." Das sei eine "typisch österreichisch verlogene Geschichte". Dabei will selbst der Grünen-Politiker, "dass die Politik durchgreift und besetzt".

Wie auch Christine Oppitz-Plörer. In ihrer Stadt würden "nur diejenigen zum Zug kommen, die sich im Auswahlverfahren durchsetzen", versichert die Innsbrucker Bürgermeisterin. "Positiv besetzt" heißt Proporz für Oppitz-Plörer, "Macht nach dem Verhältnis der Fraktionen" abzubilden. Allerdings sei es Sache von Verhandlungen, eine Koalition zu formen.

Raidl wie Reimon verweisen auf die USA, wo nach einem Regierungswechsel sehr viele Posten neu besetzt würden. "Die Konstanz des Unternehmens ist gewahrt, wenn an der Spitze Personen ausgetauscht werden", antwortet Reimon auf die Frage aus dem Publikum, ob dadurch nicht die Nachhaltigkeit gefährdet sei.

Dass der Burgenländer zumindest "historisch" den Proporz als Erfolgsgeschichte beschreibt, dürfte den Vierten auf dem Podium doch etwas irritiert haben. Als 1975er-Jahrgang empfindet der Politaktivist Niko Alm den Proporz eher als überholte "Notlösung". Die "Lobpreisung" versteht er nicht: "Proporz ist die Vorstufe zu Parteibuchwirtschaft und damit die Vorstufe zu Korruption", warnte er. Mit Raidl stimmt der Geschäftsführer einer Social-Media-Agentur aber überein, dass er sich seine Mitarbeiter selbst aussuchen möchte. Wie man den Proporz entsorgen könnte? Alm: "Man muss ihn aus den Köpfen kriegen." Ein anderes Rezept sei, mehr direkte Demokratie zuzulassen. Als Beispiel nennt Alm seine eigene Politagenda: den Kampf gegen Kirchenprivilegien. "Hier gibt es eine Problemlage, die von der Politik nicht erkannt wird, und da ist ein Volksbegehren ein probates Mittel."

Mehr privat, weniger Staat

Claus Raidl hat da einen anderen Vorschlag parat, der sich auf einen Satz zusammenfassen lässt: "Privatisierungen waren ein Segen", lautet er. In der Wirtschaft habe das geklappt, in anderen Bereichen, etwa bei Schulen oder den Spitälern, nicht. "Ich bin ganz gegen die Privatisierung von Krankenhäusern", hält Oppitz-Plörer fest, denn das führe "zum Rosinenpicken". Ablehnung auch vom Grün-Politiker: Gott sei Dank gebe es das nicht: Die Abschaffung der Politik sei nicht die Lösung. "Privatisieren heißt nicht deregulieren", kontert Raidl.

Den Burgenländer Reimon ärgert auch - ganz gegen die Parteilinie - die Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre. Dass dadurch Abgeordnete professioneller arbeiten und nicht nur auf Wahlen schielen, glaubt er nicht. Reimon geht davon aus, dass das auf Dauer nicht haltbar sei, weil der Frust und Grant in der Bevölkerung, nur alle fünf Jahre abstimmen zu können, zunehmen werde. "So lange können sie eine Periode gar nicht machen, dass ein Politiker nicht so denkt", ergänzt der Nationalbank-Präsident.

Ob es sinnvoll sei, Plätze auf Wahllisten etwa für Migranten zu reservieren, fragt Standard-Kolumnist und Moderator Gerfried Sperl in die Runde. Der Innsbrucker Bürgermeisterin gefällt das nicht. Solle das auch für Frauen, Jugendliche oder Senioren gelten? Für Türken oder Kroaten? Oppitz-Plörer: "Das kann man fast beliebig fortsetzen. Ich glaube nicht, dass das eine Lösung ist."

Höhere Außenseiterchancen

Dann lieber ein "Vorwahlsystem". Er sei kein "Freund der Direktwahl", sagt der Grünen-Landespolitiker. Vorwahlen auf Bundesebene seien da wesentlich besser. Das findet auch Niko Alm, denn: "Die politische Kaste ist eine, die das Hinzukommen von Außenseitern verunmöglicht." (Peter Mayr, DER STANDARD, 20.6.2012)