Eines wird man den Wiener Festwochen 2012 nicht vorwerfen wollen: dass sie das "wirkliche Leben" ausgeblendet hätten. In Erinnerung bleiben wird von einem zwiespältigen Jahr der Behauptungsehrgeiz der Programmmacher. In einer von Unruhen erschütterten Weltgesellschaft ziehen die Kapitalströme an den allermeisten Menschen vorüber. Die Angst vor Veränderungen sitzt nicht nur den Europäern im Nacken. Auch in Lateinamerika und Asien beschäftigen sich die Theatermacher mit Umwälzungen, die längst globale Ausmaße angenommen haben.

Die Folgen für die darstellenden Künste liegen auf der Hand. Wem das Menschheitselend unter den Nägeln brennt, der pfeift auf die äußere Form der Arbeit. Der Wille, Zeugnis abzulegen von den Erschütterungen im Weltmaßstab, dominiert immer häufiger die Ästhetik. Und so stachen heuer ein paar Starvehikel, ob mit Cate Blanchett oder von Peter Handke, merkwürdig ab von der Masse kleiner, landeskundlicher Einlassungen: Theaterskizzen mit sozialtherapeutischer Funktion.

Nicht an der Masse haperte es, sondern an der Mitte. Nachdem Shermin Langhoff die Festwochen (für sie) peinlicherweise versetzt hat, wird sich der designierte Intendant Markus Hinterhäuser umso genauer überlegen müssen, mit wem er ab 2014 Theater macht. Die Tabula ist nicht rasa. Aber sie harrt neuer Zeichensetzungen. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 18.6.2012)