Vergleiche, wird oft gesagt, hätten einen Hinkefuß. Und im Prinzip ist dieses Urteil gar nicht falsch. Manchmal allerdings, wenn es darum geht, Tendenzen sichtbar zu machen, ist eine Abwägung aktueller und vergangener Entwicklungen gar nicht so kontraproduktiv und kann den Blick fürs gegenwärtig Drohende schärfen.

So war es gewiss nützlich, dass bei der offen ausbrechenden Subprime-Krise von 2008 mit Ben S. Bernanke ein Mann an die Spitze der Federal Reserve Bank stand, der im Jahr 2000 ein Buch mit dem Titel "Essays on the Great Depression" veröffentlicht hatte und daher sehr genau wusste, was passieren kann, wenn nicht rasch und entschieden interveniert wird. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass von Bernanke und anderen amerikanischen Ökonomen und Politikern heute kritisch-warnende Worte zur zögerlichen bis krisenverschärfenden Politik der Europäer kommen, die inzwischen auch diesseits des Atlantik zunehmend gehört werden.

Österreichs historische Erfahrungen

Österreich hat mit in- und ausländischen Kräften, die offenen, aber orthodoxen Auges ein kleines Land in den Abgrund treiben, seine historischen Erfahrungen. Nur sind die viel zu wenig (oder viel zu wenigen) bekannt. Damit ist nicht so sehr die oft zitierte Genfer Sanierung von 1922 gemeint, die Österreich einen strengen Sparkurs verordnete, in dessen Verlauf 84.000 Staatsbeamte abgebaut wurden. Das wäre der einzige Vergleich mit heute, der Sinn macht. Jede darüber hinausgehende Gleichsetzung hinkt.

Das lässt sich sowohl von den Ursachen, als auch vom Umfeld her, in dem die Verschuldungskrise gelöst wurde, ersehen. Die Genfer Sanierung, mit der die Hyperinflation - im September 1922 war die Krone nur noch 1/14.000tel des Wertes von 1914 wert - beendet wurde, war eine Folge des 1. Weltkriegs. Die Genfer Sanierung beendete - viel zu spät - eine Phase der extremen Staatsverschuldung, die im Sommer 1914 mit dem Ausbruch des Krieges begonnen hatte. Und sie vollzog sich in einem Umfeld, das durch den Zerfall der Donaumonarchie, die deutsche Krise von 1923, aber grundsätzlich eben doch durch einen moderaten wirtschaftlichen Aufwärtstrend bis 1929 geprägt war.

Nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise

Der Vergleich mit heute trifft viel eher auf die dreißiger Jahre, die Jahre nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise zu. Wie bei den finanziellen Problemen, die wir heute erleben, stand am Anfang eine schwere Bank- und Finanzkrise, die in Österreich einen Kreditsektor traf, der durch Krieg, Inflation und Währungsverfall im Gefolge des Auseinanderbrechens der Monarchie bereits entscheidend geschwächt war. Das zu beschreiben fehlt hier der Platz. Nur so viel: Im Herbst 1929 brach die Boden-Credit-Anstalt zusammen und musste über Nacht mit einer anderen Großbank, der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe, fusioniert werden. Zu einer gründlichen Überprüfung des Status der übernommenen Bank blieb keine Zeit.

Im Mai 1931 brach dann die Creditanstalt-Krise aus. Diese löste eine internationale Finanzkrise aus, die rasch auf Deutschland, Großbritannien und andere Länder übergriff. Und ähnlich wie heute in verschiedenen europäischen Ländern folgte auf die Bankenkrise eine Krise der Staatsfinanzen und des politischen Systems, die im damaligen Umfeld nur mit der Zerstörung der Demokratien in Österreich und Deutschland enden konnte. Die Ausschaltung des Parlaments im März 1933, der Aufstand von Teilen des Schutzbundes im Februar 1934 und die darauf folgende Errichtung einer faschistischen Diktatur durch Engelbert Dollfuß sind von der Finanzkrise nicht zu trennen.

Das Parlament stand der Sanierung im Weg...

Was die stümperhafte Bewältigung der auf den Zusammenbruch der CA folgenden ökonomischen Krise betrifft, kann man die Schuld dafür zu ziemlich gleichen Teilen den falschen Ratschlägen neoliberaler Ökonomen, der österreichischen Regierung und dem Finanzkomitee des Völkerbundes zurechnen, das Österreich eine neue rigide Sparpolitik (Lausanner Anleihe) verordnete, die von einem "Berater" namens Rost van Tonningen überwacht wurde, der nach der Ausschaltung des österreichischen Parlaments in seinem Tagebuch notierte, dass dies notwendig gewesen sei, weil das Parlament der Sanierung der Staatsfinanzen im Wege gestanden sei.

Einige Parallelen

Wenn man an die Stelle von Völkerbund und Finanzkomitee EU und IMF setzt, an die Stelle von Inflation und Währungsverfall Immobilienspekulation, erhält man eine Parallele, die gar nicht so abwegig ist. Auch die fatale Logik des Sparens kann an den Beispielen Griechenland und Spanien (und anderen Ländern) studiert werden. Ein deutsch-amerikanischer Volkswirtschaftler namens Nicholas Johannsen hat dies an einem einfachen Modell vor mehr als 100 Jahren schon vorgeführt. Auch die Arbeitslosenzahlen (insbesondere jene für die Jugendlichen) bewegen sich mit um die 25 bzw. 50 Prozent in denselben Dimensionen.

Die Unterschiede sind bekannt (oder auch nicht): 1931 betrug die Finanzschuld des österreichischen Staates etwas mehr als 23 Prozent des BNP; sie stieg infolge der Bankenkrise auf 42,6 Prozent an. Damit wäre Österreich heute das Triple-A sicher. Die griechische Finanzschuld macht rund 140 Prozent aus. Auch die Unterschiede in Steuermoral und Produktivität in den beiden Volkswirtschaften sind evident.

Geschichte des gleichzeitigen Sparens

Einen Staat kaputtsparen und Arbeitslosenraten von 25 Produzent zu produzieren kann - um mit Bertold Brecht zu sprechen - jede Köchin. Aber in einem Land mit so hoher Arbeitslosigkeit Vollbeschäftigungsniveau wiederherzustellen - darin besteht die volkswirtschaftliche Kunst. Auch hier mag Österreich als Beispiel dienen: 1937 lag die Arbeitslosenrate noch immer weit höher als im Jahr 1931, obwohl de Regierung die trockene Sparpolitik nach 1934 mit einigen Tropfen öffentlicher Arbeitsbeschaffung zu benetzen versuchte. Auch dies ist eine Warnung für heute: Man kann die Folgen einer Politik des "Schuldenbremsens" nicht durch ein paar konterkarierende Maßnahmen neutralisieren.

Dass es nur fatal enden kann, wenn in einer großen Volkswirtschaft wie der EU alle gezwungen werden, gleichzeitig zu sparen, ist keine neue Weisheit. (Dazu muss man nur die Geschichte Deutschlands unter dem Reichskanzler Heinrich Brüning studieren.)

Zusammenhang mit autoritären Regimen

Was folgte - die Hitler-Diktatur - folgt nicht naturwüchsig. Aber jeder rigiden Sparpolitik wohnt eine autoritäre Logik inne. Wer Gehälter und Pensionen auf Teufel-komm-raus kürzt und gleichzeitig Milliarden für die Rettung von durch Leichtsinn und mangelnde Kontrolle bankrott gegangenen Banken ausgibt, muss mit Widerstand rechnen. Auch das hat 1933/34 in Österreich die Flucht in ein autoritäres Regime befördert.

Verstärkt wurde die Krise in Deutschland und Österreich damals durch das unbedingte Festhalten an einer Hartwährungspolitik ("Alpendollar"). Griechenland steht heute vor einem ähnlichen Dilemma: der Verbleib in der Eurozone bringt die nämliche Logik hervor. Die deflationäre Politik einer "inneren Abwertung", also von Lohnkürzungen und Beschneidungen der sozialen Sicherheit, kann und muss die sozialen Konflikte verschärfen. Es gibt vermutlich keinen Deus ex machina, der das mit anderen Mitteln als autoritärer Gewalt - in welcher Form auch immer - lösen kann.

Fast nichts hat in der Geschichte eine eherne Entwicklungslogik. Aber es gibt Tendenzen, die durch falsche oder zögerlich getroffene Entscheidungen - etwa die Salamitaktik bei sogenannten Rettungsaktionen - in eine bestimmte Richtung verstärkt werden können. Auch dafür ist das damalige Österreich ein abschreckendes Beispiel. Erschwerend kam hinzu, dass der Finanzminister im Jahr 1931 die Abgeordneten vorsätzlich belog und von einem Verlust der CA von 140 Million Schilling sprach, obwohl ihm bekannt war, dass der Verlust rund 1 Milliarde Schilling oder 10 Prozent des BNP betragen würde. Hätten die Abgeordneten die Wahrheit gewusst - wer weiß, wie bestimmte Entscheidungen ausgegangen wären. Damals herrschte in Österreich noch Demokratie ...

Zum Handkuss kommen immer die kleinen Leute

Eines freilich hat seine eiserne Logik: Bezahlen für missglückte Spekulationen, fahrlässige Bankpolitiken und falsche politische Rezepturen tun nicht die, die sie betrieben haben, sondern die "kleinen" Leute, deren Pensionen und Gehälter gekürzt und die in die Arbeitslosigkeit gestoßen werden, und vor allem die Jugendlichen, die keine Chance haben, in absehbarer Zeit Arbeit zu finden. Sie haben - sagen uns die Propheten der liberalen Religion - eben über ihre Verhältnisse gelebt und müssen nun dafür bestraft werden.

Dieses Argument findet sich schon in einem Pamphlet des österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises aus dem Jahr 1931 mit dem Titel "Die Ursachen der Wirtschaftskrise". Heute wird es von minder Begabten in ihre Gebetsmühlen gespannt. (Fritz Weber, derStandard.at, 19.6.2012)