440 Euro "Strafe" bei notorischem Schulschwänzen sind für Unterrichtsministerin Claudia Schmied die "vertretbare Ultima Ratio", quasi die letzte Drohstufe.

Foto: Der Standard/Cremer

STANDARD: Irgendwie läuft es nicht so rund mit Ihren Projekten -die Lehrerdienstrechtsverhandlungen stottern wenig vielversprechend vor sich hin, die Zentralmatura musste um ein Jahr verschoben werden. Wo hakt es denn?

Claudia Schmied: Beim Großprojekt "Neue Matura" ist es in meiner Wahrnehmung dazu gekommen, dass ein Toleranzjahr, das Eröffnen einer zusätzlichen Möglichkeit, sich noch mehr vorzubereiten, für das Projekt einfach erfolgsrelevant ist. Gegen die Bedenken von Eltern, Schülern und Lehrern am Zeitplan festzuhalten hätte den Erfolg dieses Projektes, das eines für die nächsten 50 Jahre ist, unter Umständen gefährdet. Das neue Dienst- und Besoldungsrecht für Lehrer ist neben der " PädagogInnenbildung neu" eines der zwei großen strategischen Projekte, die auf der politischen Bühne sind. Da laufen gerade die Verhandlungen mit den Lehrervertretern - und wenn Sie mich fragen, könnte das ein bisschen zügiger und entschlossener vorangehen. Darum bieten wir hier auch laufend weitere Termine an.

STANDARD: Die Vertreterin der Unterrichtspraktikanten in der ÖH, Regina Bösch, warnt vor einer Anhebung der Unterrichtsverpflichtung, dann wäre nur noch "Dienst nach Vorschrift" möglich. Schließen Sie eine Anhebung der Unterrichtsverpflichtung aus?

Schmied: Die schließe ich nicht aus.

STANDARD: Junglehrer werden in Zukunft also länger in der Klasse stehen als die derzeitigen Lehrer?

Schmied: Ja, Junglehrer werden länger in der Klasse stehen - und sie werden mehr verdienen.

STANDARD: Eine von Ihrem Ministerium mitinitiierte Studie über Migranten und Schule sieht eine zentrale Schwachstelle in der "organisierten Unverantwortlichkeit beim Umgang mit Schulabsentismus", also Schulschwänzen. Wie wollen Sie mehr Verantwortlichkeit organisieren? Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) fordert von Ihnen ein Maßnahmenpaket gegen Schulpflichtverletzungen.

Schmied: Also zum einen ist der Herr Staatssekretär wohl nicht in der Position, von mir etwas einzufordern. Das ist ein Regierungsbeschluss, dass wir uns dem Thema natürlich widmen. "Organisierte Unverantwortlichkeit" ist wohl ein bisschen hart formuliert. Das unterstelle ich den in der Schule Tätigen nicht. Mir ist eine tragfähige Gesprächskultur in der Schule sehr wichtig, nicht nur dann, wenn Krisenfälle auftauchen. Darum ist in der Neuen Mittelschule die Verankerung von verpflichtenden Eltern-Schüler-Lehrer-Gesprächen auch ein wesentlicher Punkt der Prophylaxe, damit es erst gar nicht so weit kommt. Wir müssen auch speziell Menschen mit Migrationshintergrund in der Elternarbeit in die Schulpartnerschaft einbeziehen. Und im neuen Dienstrecht muss es gelingen, die soziale Komponente auszubauen durch mehr Unterstützungspersonal. Der dritte Punkt ist die rechtzeitige Einbeziehung der Jugendwohlfahrt in eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Institutionen. In den Verhandlungen wird auch als Ultima Ratio über das Strafausmaß zu reden sein, eine Anhebung von derzeit 220 auf maximal 440 Euro erscheint mir vertretbar.

STANDARD: Diese Studie empfiehlt auch, dass nicht mehr die Volksschullehrer entscheiden sollen, ob ein Kind in die AHS-Unterstufe darf oder in die Hauptschule muss, sondern eine schulunabhängige Kommission. Was halten Sie davon?

Schmied: Nicht sehr viel. Wir sollten uns das überhaupt ersparen, indem wir das tun, was die meisten anderen europäischen Länder tun, nämlich die Selektion mit neuneinhalb Jahren niemandem abzuverlangen, weder einer Kommission noch der Volksschullehrerin noch den Eltern. Wir sollten den jungen Menschen einfach mehr Zeit geben, bis zum 14., 15. Lebensjahr. Dann muss die Entscheidung erfolgen - ob berufliche Bildung oder eher in Richtung Universität. Aus der Kombination individuelle Leistungsvoraussetzung plus harte Arbeit wird jeder zu seiner persönlichen Spitzenleistung kommen. Das mit neuneinhalb Jahren vorauszusagen ist absurd und führt zu dem, was wir in Österreich seit Jahrzehnten haben - dass Bildung nach wie vor vererbt wird.

STANDARD: Das Bildungsvolksbegehren ist im Parlament ohne einen einzigen Beschluss quasi versenkt worden. Initiator Hannes Androsch (SPÖ) sprach von "lächerlicher Heuchelei". War es das?

Schmied: Nein, war es nicht. Das Volksbegehren war eindeutig Rückenwind und Basis für die Beschlüsse etwa zur Neuen Mittelschule als Regelschule und den Ausbau der Ganztagsschulen. Der zweite Bereich, wo Androsch sehr wirksam war - manchmal ist es ja auch ein Erfolg, wenn man etwas verhindert hat -, war seine Absage an Bestrebungen, den Bildungsbereich zu verländern. Da hat er mich von Anfang an - wohl auch aus seiner Erfahrung als Finanzminister heraus - klar unterstützt bei der Forderung " Bundeskompetenz im Bildungsbereich für Gesetzgebung und Vollziehung". Dass wir jetzt keinen Beschluss zustande bringen für eine gemeinsame Schule bis 14, das war mir klar. Da hätte schon mehr als ein Wunder passieren müssen. Das geht im Augenblick - ich betone: im Augenblick - mit der ÖVP nicht. Mein politisches Ziel bleibt es.

STANDARD: Nicht einmal die seit Jahren geforderte Abschaffung der Bezirksschulräte wurde beschlossen. Und Entschließungsanträge sind ja rechtlich nicht verbindlich für die Regierung.

Schmied: Die Abschaffung der Bezirksschulräte und andere Verwaltungsvereinfachungen klingen einfacher, als sie sind. Da sind rund 30 Gesetze, ein großer Teil davon Zweidrittelmaterien, und 100 Behördenstellen betroffen. Ich freue mich über das Commitment - es wurde eindrucksvoll bestätigt, dass wir die Bezirksschulräte abschaffen wollen -, und mit Blick auf die Verfassungsmehrheit, die wir brauchen, besonders, dass die FPÖ mitgeht. Ich bin überzeugt, dass wir das in dieser Legislaturperiode noch umsetzen.

STANDARD: Es geistert herum, dass Sie in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr als Ministerin zur Verfügung stehen würden.

Schmied: Das stimmt nicht. Ich mache nichts lieber, als hier weiterzuarbeiten. Nach vielen Mühen des Aufsetzens der einzelnen Projekte beginnt da und dort die Ernte, und wir sehen, wie Projekte ins Ziel kommen. Ich bin bereit. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 18.6.2012)