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Torschütze Giorgos Karagounis feiert. Und Fußballexperten ...

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... wie Fans ...

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... und Teammitglieder sind von den Socken.

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In der ersten Stunde jedes mittelmäßigen Motivationsseminars wird gelehrt, dass Verschwörungstheorien Sinn machen und leistungsfördernd sind. Ein Löwe, der in die Enge getrieben wird, ist bekanntlich besonders gefährlich. Er fährt seine Pranken aus, um die anrückenden Jäger zu attackieren, zu zerfleischen. Einige der Häscher enden eventuell im Raubkatzenmagen. Das Tier ist hungrig gewesen, es hat schon lange nichts zu fressen bekommen. Und dann schnurrt es, leckt sich die Pfoten. Auch deshalb, weil die Waffen der Feinde Ladehemmung hatten.

Giorgos Karagounis, der Kapitän der griechischen Nationalmannschaft, saß am Samstagabend im Warschauer Pressezentrum. Und er schnurrte. Der 35-Jährige hatte mit seinem Tor gegen Geheimtipp Russland für die bisher größte Überraschung dieser EM gesorgt. Die Griechen haben sich als Zweite der Gruppe A hinter Tschechien fürs Viertelfinale qualifiziert. Karagounis stellte diesen Erfolg auf eine Stufe mit dem EM-Titel 2004 in Portugal. "Gefühlsmäßig ist da kein Unterschied, beides ist wunderbar und außergewöhnlich."

Einfach geschossen

Er schilderte seinen Treffer in der Nachspielzeit der ersten Hälfte, zwei bis drei russische Verteidiger seien uneins gewesen ("Vielleicht haben sie geschlafen"), er habe sich den Ball geschnappt, sei ein paar Meter gelaufen. "Und dann habe ich den Ball flach ins Netz geschossen. Es war gar nicht so schwierig." Der Kapitän ist im Viertelfinale gesperrt. Er hat die zweite Gelbe kassiert, wegen einer Schwalbe, die seiner Ansicht nach nicht einmal ein Sperling war. "Ich wurde gefoult, es hätte Elfmeter geben müssen. Aber es sind eben alle gegen uns. Wir werden schlecht behandelt."

Und er führte den in der Tat lachhaften Ausschluss von Sokratis im Eröffnungsspiel gegen Polen an. Szenen seien wegen angeblicher Abseitsstellungen abgepfiffen worden, zudem habe man drei Auswärtsspiele bestreiten müssen. Die griechische Fankolonie ist die kleinste aller Teilnehmer, das hat natürlich in erster Linie wirtschaftliche Gründe. Polen und die Ukraine sind nahezu unerreichbar. Karagounis: "Und jetzt gibt es diesen Moment der Magie. Wir haben allen Griechen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert."

Stürmer Giorgos Samaras sagte: "Als wir aus Athen abreisten, haben wir unseren Landsleuten versprochen, dass wir bis zu letzten Blutstropfen für sie kämpfen. Wir haben unser Versprechen gehalten. Wir Griechen sind stolze Menschen, haben Willen, Entschlossenheit, Seele und Herz." Die Schulden erwähnte Samaras nicht. Ätsch Europa. Am Sonntag wurde in Griechenland gewählt.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat vor dem Urnengang erklärt, Frau Griechin und Herr Grieche sollten sich gut überlegen, wem sie ihre Stimme geben. Sie drohte diplomatisch verbrämt mit dem Rausschmiss aus der Eurozone, sollte nicht das gewünschte Ergebnis zustande kommen. Griechenlands Kicker haben Merkel auf ihre Art ignoriert.

Fernando Santos ist Portugiese. Der 57-Jährige trägt einen blauweißen Schal, weil er seit 2010 griechischer Teamchef ist. Santos dankte Gott. Es ist natürlich nicht einmal ein unbestätigtes Gerücht, dass er vor der Partie mit Otto Rehhagel telefoniert und sich taktische Tipps geholt hat. Fakt ist: Griechenland erinnerte an 2004. Santos: "Wir haben das gemacht, was Griechenland am besten kann. Wir haben uns unserer Tugenden besonnen. Wir haben hinten zugemacht und dann zugeschlagen. Wir haben alles gegeben, sogar mehr als alles. Natürlich sind wir nicht die besten der Welt, aber wir werden auch im Viertelfinale sicher Lösungen finden können."

Kein Mitleid

Santos ging ins Prinzipielle, forderte Europa auf, Respekt vor seinem Arbeitgeber zu zeigen. Auf Mitleid könne man verzichten. "Die Geschichte ist eine Inspiration, sie ist einzigartig. Alles ging von Griechenland aus, die Demokratie wurde hier geschaffen."

Und was sagte eigentlich Dick Advocaat, Russlands niederländischer Teamchef? Praktisch nichts. Er hat bereits im April seinen Abschied bekanntgegeben, er übernimmt PSV Eindhoven. Advocaat konnte also nicht entlassen werden. "Mir ist egal, was die Leute über mich denken." Das gelte auch für rund 140 Millionen Russen und Russinnen. "Wir haben halt nicht ins Tor getroffen. Respekt vor Griechenland."

Die Griechen bestreiten am 22. Juni in Breslau ihr Viertelfinale, mit Sicherheit als Außenseiter. "Wir werden uns wehren, wir haben keine andere Wahl. Im Fußball finden wir oft Lösungen", sagte Angreifer Samaras. Und er schnurrte. Leise. (Christian Hackl aus Warschau, DER STANDARD, 18.6.2012)