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Flüchtling ist Asylwerber ist „Asylmissbrauch", lautet jetzt die in den meisten Staaten Europas aufgestellte Gleichung.

Foto: dapd/Bela Szandelszky

"Einspirrn, Einspirrn!", dieser programmatische Ausspruch wird in Österreich gern Ordnungshütern in den Mund gelegt wird, wenn sie einen tatsächlich oder vermeintlich Tatverdächtigen dingfest machen. Aber der Geist des "Einspirrn, Einspirrn" beschränkt sich nicht auf die Mühsal des Verbrechensbekämpfung: Missbrauch von Freiheitsentzug, wenn es um missliebige oder lästige Personen geht, ist weltweit nach wie vor an der Tagesordnung.

Und so wie es in diesen Tagen ausschaut, besteht erhöhte Gefahr, dass sich just die Europäische Union, dieser Hort der Menschenrechte, eine neue Richtlinie antut, die "Einspirrn, Einspirrn" durchaus zum Normalfall machen könnte - just für eine Personengruppe, die aufgrund einer der zentralen internationalen Konventionen als schützenwert gilt.

Die Rede ist von Flüchtlingen, zu deren Schutz 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet wurde, nachdem das Naziregime und der Zweite Weltkrieg in Europa Millionen Menschen von dort, wo sie lebten, vertrieben hatte. Die Rechte von "displaced persons" wurden damit einigermaßen abgesichert, doch dieser Geist ist lange verpufft: Flüchtling ist Asylwerber ist "Asylmissbrauch", lautet jetzt die in den meisten Staaten Europas aufgestellte Gleichung, die von Rechtspopulisten bis Rechtsextremen in die Hirne getrommelt wird. 

Gespräche am Dienstag

Jetzt setzt vielleicht die gesamte Union an, sich ein umfassendes Flüchtlingsinhaftierungsgesetz zu geben: Eine neue „Aufnahmerichtlinie", die zwecks Harmonisierung des EU-Asylwesens schon seit 2011 in Diskussion ist, aber am 26. April 2012 von den EU-InnenministerInnen inhaltlich ordentlich aufmunitioniert wurde. Kommenden Dienstag, am 19. Juni, sind weitere Verhandlungen für die Regelung angesetzt, die nach einem Beschluss von den Mitgliedstaaten zwingend umzusetzen ist. Um die vertretenen Interessen klar auszuschildern: EU-Kommission und Europaparlament haben schwere Bedenken.

Denn der Entwurf enthält unter Punkt acht ("Inhaftierungsvoraussetzungen") sechs Gründe, wegen derer Drittstaatangehörige ohne Visum - als welche die meisten Flüchtlinge nach Europa kommen - künftig EU-weit eingesperrt werden dürften: Zur „Feststellung der Identität", zur "Beweissicherung", zur "Prüfung des Einreise", wegen "verspäteter Asylantragstellung", wegen der "nationalen Sicherheit und Ordnung" sowie wegen "Gefahr des Untertauchens".

Das heißt: Eigentlich immer. Denn wer flieht, führt meist keine umfassenden Dokumente mit sich (Einsperrgründe eins und zwei) und stellt entweder an der Grenze (Einsperrgrund drei) oder eben später (Einsperrgrund vier) den Antrag auf internationalen Schutz. Gelingt es ihm oder ihr aber trotzdem, über diese ersten Inhaftierungsanlässe hinweg in Freiheit zu bleiben, so greifen die Einsperrgründe fünf oder sechs. Vor allem Grund fünf ("nationale Sicherheit und Ordnung") ist fast beliebig interpretierbar. Etwa so, wie es die österreichischen Fremdenbehörden tun: Die öffentliche Sicherheit und Ordnung wird laut ihnen durch jede Art "illegalen Aufenthalts" gefährdet. Und sei es, weil ein Drittstaatangehöriger vor Jahren unverschuldet eine Frist versäumt hat, um sein Visum zu verlängern. 

Wie „Illegale"

Würden die neue "Aufnahmerichtlinie" in dieser Form beschlossen: Flüchtlinge würden in der EU pauschal als "illegale Migranten" behandelt. Die Gefahr wäre groß, dass sich die EU für Schutzsuchende in ein einziges Gefängnis verwandelt. Oder, um der Einsperrung zu entgehen, in ein Europa des Untergrunds, mit hohem Risiko, der organisierten Kriminalität in die Fänge zu laufen. Denn Menschenhändler, die Arbeitssklaven rekrutieren, würden sich diese Zwangslage wohl zunutze machen. 

Würde die neue "Aufnahmerichtline" in dieser Form beschlossen, wäre die Genfer Flüchtlingskonvention in Europa de facto wohl außer Kraft gesetzt. Denn viele Flüchtlinge würden sich wohl abschrecken lassen: Die Last, sich um "displaced persons" zu kümmern, würde in noch höherem Maß als bisher den ärmeren Ländern außerhalb der EU aufgehalst.

Daher ist sehr zu hoffen, dass sich kommenden Dienstag ein Vorschlag der Präsidentschaft des permanenten Rats der EU durchsetzt, der in einem internen Papier kursiert: Nämlich, dass der gesamte Punkt acht ("Inhaftierungsvoraussetzungen") gestrichen werden soll. Dann würde die Frage der Flüchtlingseinsperrung nationale Sache bleiben, wie jetzt, wo etwa Ungarn und Malta eine "Einspirrn, Einspirrn"-Politik verfolgen, während in anderen EU-Staaten, etwa in Österreich, mit Einsperrdiskussionen (Anwesenheitspflicht im Traiskirchen) innenpolitisch rechtslastige Akzente gesetzt werden können. 

Unguter Status Quo

Damit würde der im Grunde inakzeptable Status Quo erhalten bleiben, der immer noch besser als eine umfassende Einperrrichtlinie ist. Die gefährlichen Begehrlichkeiten der EU-InnenministerInnen wären abgewehrt - und diese hätten erreicht, dass die Union es nicht schafft, beim Umgang mit Flüchtlingen mit einer einzigen, liberalen und humanen Stimme zu sprechen. (Irene Brickner, derStandard.at, 16.6.2012)