Die ÖVP will einen "gravierenden Systemwechsel", sagt der Zweite Nationalratspräsident Fritz Neugebauer. Österreichs Verfassung soll von einem primär repräsentativen-parlamentarischen System, das nur eingeschränkt plebiszitär ist, zu einem viel stärker plebiszitären umgewandelt werden.

Wenn ein Volksbegehren 650.000 Unterschriften erhalten hat, muss sein Inhalt einer bindenden Volksabstimmung unterworfen werden. Das Parlament kann zwar vorher noch Änderungen anbringen, aber letztlich macht "das Volk" - oder ein genügend motivierter Teil - Gesetze.

Das ist - man muss es wiederholen - ungefähr das, was sich Jörg Haider unter seiner "Dritten Republik" vorgestellt hat.

Bundespräsident Heinz Fischer stellte nun bei einer Feier für den Verfassungsgerichtshofpräsidenten sehr klare Fragen: Weiß man, weiß die ÖVP, dass es sich bei der Änderung, bei der "Bundesgesetze auch gegen den Willen des vom Volk gewählten Gesetzgebers zustande kommen können", um eine Gesamtänderung der Bundesverfassung handelt?

Sollen "auch Verfassungsgesetze gegen den Willen der gewählten Volksvertretung zustande kommen können"? Ist man sich bewusst, dass sich dadurch das Verhältnis zur EU "gravierend verändern" wird? Und ist man sich im Klaren darüber, dass im "Ja-nein"-Verfahren der parlamentarische Prozess, das Verhandeln, die Berücksichtigung der Minderheit verlorengeht? (rau, DER STANDARD, 16.6.2012)