Besprechung in der Gemeinschaftsküche: Bewohner von Takoma Village.

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Mit den Hippies verbinden sich Stichworte wie Flower-Power, LSD, freie Liebe. In den USA waren sie allerdings auch Vorläufer der Umweltbewegung. In Haight-Ashbury etwa, der Hippie-Hochburg in San Francisco, öffneten Altkleiderläden, in denen jeder sich frei bedienen konnte. Gemeinschaftsgärten entstanden, erste Re cyclingzentren wurden gegründet. Ressourcen sparen als "Way of Life": Die Cohousing-Bewegung macht es den Blumenkindern nach, wenn auch ohne Stirnbänder und schulterlanges Haar.

Spontanes Herumtoben

Wenn Ann Zabaldo von den Playdates erzählt, klingt es, als habe sich ein Zeitkreis geschlossen. Im Amerika der Straßenkreuzer, in dem sie in den Fünfzigerjahren aufwuchs, spielten die Kids noch draußen im Wohnviertel, ohne sich groß verabreden zu müssen. In den Siebzigern kamen die Playdates in Mode, nicht zuletzt, weil die Zahl der Kindesentführungen gestiegen war und besorgte Eltern dem Frieden der Straße nicht mehr recht trauten. Also kutschierte man die Söhne und Töchter zu Treffen mit Gleichaltrigen, stets auf Kontrolle bedacht. Nun probieren sie in Takoma Village so etwas wie eine Rolle rückwärts, spontanes Ballwerfen, spontanes Versteckspielen, spontanes Herumtoben im Dorf in der Stadt, im Norden von Washington.

65 Erwachsene, 25 Kinder, sieben Hunde und schätzungsweise zwei Dutzend Katzen, das sind die Eckwerte. Die Eingangstüren aller 43 Wohnungen, sowohl im dreistöckigen Hauptgebäude als auch in den angrenzenden Reihenhäusern, weisen zum Hof. "Damit ist der Mittelpunkt klar definiert", sagt Ann Zabaldo, bevor sie von den praktischen Vorteilen spricht, vom Sparen durch Teilen.

Es gibt nicht 43 Rasenmäher, sondern nur drei. Die Autos leiht man sich gegenseitig ebenso wie die Staubsauger, in einer Ecke stapeln sich Bücher, aussortiert von den einen, um von anderen gelesen zu werden. Die umweltschonende Wärmepumpenheizung hätte sich allein kaum ein Haushalt leisten können. In der Gemeinschaftsküche steht montags ein kollektives Abendessen auf dem Plan, "Soup 'n' Simple", wie eine Magnettafel verkündet. Wer kocht, wer saubermacht, den Rasen mäht - theoretisch ist alles geregelt, theoretisch soll jeder pro Monat 16 Stunden gemeinnütziger Arbeit leisten. Im praktischen Leben kommt es natürlich zu Reibungen, da mancher so gut wie nichts beitragen will.

Immer ein paar Aufpasser da

Das Wichtigste ist, dass es keine "latchkey kids" gibt, keine Schlüsselkinder, die nach der Schule ganze Nachmittage allein zu Hause verbringen, weil beide Elternteile berufstätig sind. In Takoma Village haben sie es so eingeteilt, dass immer ein paar Erwachsene da sind, um ein Auge auf den Nachwuchs zu werfen. Auf diese Weise können Alleinerziehende einer Arbeit nachgehen, ohne teure Nannys zu bezahlen.

Eine Kommune? Moderne Blumenkinder? Manches erinnert an die Hippies von San Francisco, etwa der Ansatz, das eine oder andere Tabu der Wohlstandsgesellschaft zu brechen. Doch die Wohnungen sind Privateigentum, man legt seinen Besitz nicht zusammen.

24 Jahre ist es her, dass die Architekten Kathryn McCamant und Charles Durrett das Konzept aus Dänemark mitbrachten. Sie hatten es satt, ihre Kinder ständig durch die Gegend zu fahren, zu Freunden hier, zu Freunden dort. Vor allem sollte Cohousing familienfreundlicher sein. Quer durch die USA gibt es mittlerweile rund 140 solcher Siedlungen, bewohnt von fünftausend Menschen. "Ein Klacks", weiß Zabaldo.

Der Traum vom eigenen Haus

Nur muss man die ungeschriebenen Gesetze des American Dream kennen, um Projekte wie Takoma Village schätzen zu lernen. Eine amerikanische Familie, besagt der Traum, sollte ihr eigenes Haus haben, ein Haus, um das man einmal herumlaufen kann. Als die Immobilienpreisblase platzte und den Crash der Finanzkrise auslöste, häuften sich nachdenkliche Stimmen.

Am Grundsätzlichen aber hat sich nichts geändert. "Niemand kann mir etwas vorschreiben. Wo ich wohne, bin ich mein eigener Herr." Diese Maxime bestimme noch immer durchschnittsamerikanisches Denken, sagt Betsy Mendelsohn. Die Historikerin wuchs selber in solchen Verhältnissen auf, in Bridgeport, Connecticut. Es gab einen Zaun, einen Dobermann, sogar einen kleinen Teich. Ihre Kinder, Sohn Franklin und Tochter Imogen, sollten nicht in der Einöde Suburbias heranwachsen. "Dann lieber mit Mitmenschen leben, deren Katzen in deine Blumenkästen pinkeln", fügt sie hinzu.

Und weil die Geschichte für eine Zeitung in Wien bestimmt sei, wolle sie von ihrem Großvater erzählen. Max Braun hat den Holocaust in Wien überlebt, weil er mit einer Katholikin verheiratet war. Seine Frau Karoline arbeitete bei einem Bäcker, gemeinsam konnten sie so viel Nahrung zusammenkratzen, dass es auch für Max reichte. Dessen Enkelin hat die Geschichte auf ihre Weise interpretiert: Eingebettet in eine Gemeinschaft, gute Beziehungen zu anderen pflegend - so hätten Max und Karoline das Schlimmste überstanden. Vielleicht habe auch die Erfahrung der Großeltern eine Rolle gespielt, meint Betsy Mendelsohn, als sie entschied, wie sie wohnen wollte. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 16./17.6.2012)