Handwerk und Gewerbe: Goldener Boden - goldene Zukunft? Bernhard Heinzlmaier (Institut für Jugendkulturforschung), Regina Prehofer (WU Wien), Walter Ruck (WK Wien), Markus Hengstschläger (Med-Uni Wien), Vicky Fetai (Strabag), Karin Bauer (der Standard) (v. li.).

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"Junge Leute wollen einen sozialen Aufstieg schaffen, der gelingt ihrer Meinung nach aber nur, wenn sie eine Ausbildung zu einem theoretischen Beruf absolvieren", sagt Bernhard Heinzlmaier, Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung zu den Imageproblemen der Lehre. Paradox: das vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel und Handwerks- sowie Gewerbebetrieben mit großer Dynamik. Eine Lehre, so Heinzlmaier, komme mittlerweile für viele junge Menschen einem sozialen Abstieg gleich, und es entscheiden sich jene dafür, die früher überhaupt keine Berufsausbildung gemacht hätten. Nur sei das Ausbildungssystem diesen neuen Anforderungen nicht gewachsen. "Es gibt keine Schule, in die so wenig investiert wird wie in die Berufsschule", kritisiert Heinzlmaier. Es werde in Spitzenbildung investiert, aber die Lehre sei "nichts wert".

Ein Imageproblem sieht auch Walter Ruck, Spartenobmann Handwerk und Gewerbe der Wirtschaftskammer Wien (WKW). In der Wiener Wirtschaft sei die Sparte Handwerk und Gewerbe mit rund 50.000 Betrieben der größte Arbeitgeber, dennoch fehle es an Attraktivität, geeignete Mitarbeiter und Lehrlinge seien oft schwer zu finden - Stichwort Mangelberufe.

Schieflage

Markus Hengstschläger, Genetiker und Bestsellerautor (Die Durchschnittsfalle), ortet eine Schieflage am Arbeitsmarkt, erzeugt durch den Druck, die Akademikerquote erhöhen zu müssen. "Eine der höchsten Akademikerquoten Europas hat Spanien, gleichzeitig hat das Land aber auch die meisten Arbeitslosen", sagt er. In Österreich werde versucht, immer mehr Berufe mit der Erwartung, dass dann alles besser werde, zu akademisieren. Dieser Effekt werde aber ausbleiben, ist er überzeugt.

Neben mehr Qualität in der Lehrlingsausbildung durch mehr Verantwortung sollte auch die Berufsorientierung an Schulen verbessert werden, meint Vicky Fetai, Meisterin der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereinigung und Projektleiterin bei Strabag Property und Facility Services. "Mit 15 ist es schwierig, sich für einen Beruf zu entscheiden, da braucht es Unterstützung", ergänzt sie. Sie hat sich trotz sehr guten Abschlusszeugnisses und gegen den Rat ihrer Lehrer für einen Lehrberuf entschieden, weil sie sofort ins Berufsleben einsteigen wollte. Und: Ja, sie habe die Imageprobleme selbst erlebt, sich aber davon nie beeinflussen lassen. Die Qualität der Lehrausbildung hänge stark am Anliegen der Betriebe - dass da nicht alles zum Besten stehe, mussten sich die Unternehmer im Publikum auch sagen lassen.

Starres System

Mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem wünscht sich Ruck. Ermöglichen könnte das einerseits eine modulare Struktur der Lehre und andererseits die Ausweitung des universitären European Credit Transfer System (ECTS) auf Lehrberufe. Dass hinsichtlich Durchlässigkeit Verbesserungsbedarf bestehe, unterstreicht auch Regina Prehofer, Vizerektorin der Wirtschafts-Uni Wien (WU). Eine Öffnung der Hochschulen für Personen mit Lehrabschluss sei aber unter den derzeitigen Bedingungen an den Universitäten nicht möglich. "Im Erkennen der Talente und bei der Förderung der unternehmerischen Gesinnung gibt es jedenfalls Verbesserungsbedarf", sagen Prehofer und Hengstschläger und sehen das als Holschuld des Staates.

Durchlässigkeit sei zwar wichtig, ergänzt Heinzlmaier, viel wichtiger wäre es aber, in diese Ausbildungsschiene zu investieren. Aber in die soziale Unterschicht werde nicht investiert. "Eine Fachhochschule zu errichten ist sexy, eine Berufsschule zu modernisieren aber nicht", merkt er an und stellt die Frage in den Raum, warum nicht der Begriff Lehre durch Ausbildung - so wie in Deutschland - ersetzt und Berufsschulen zu Ausbildungsakademien umbenannt werden. "Denn Worte haben starke Magie." (Gudrun Ostermann, DER STANDARD, 16./17.6.2012)