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Patent #6,420: Samuel F.B. Morseselektrischer Telegraf, 1. Mai 1849.

Foto: AP/Smithsonian Institution, John Dillaber

Wien - In Zeiten von Handys, SMS, E-Mail oder Twitter erscheinen gewisse Dinge unwirklich: Der Maler Samuel Finley B. Morse hielt sich 1825 wegen eines Porträtauftrags in Washington auf, als in New Haven seine Frau Lucretia an den Folgen der Geburt ihres dritten Kindes starb. Bis Morse per Brief die traurige Nachricht erhielt, war Lucretia längst beerdigt. Der Gram darüber, nicht rechtzeitig nach Hause gekommen zu sein, ließ ihm keine Ruhe. Mit der Erfindung des Telegrafen revolutionierte er letztlich die menschliche Kommunikation. Die Tirolerin Margit Knapp hat nun eine Biografie über Morse verfasst.

Der Titel, den die 1960 in Schwaz geborene Germanistin, Romanistin, Theaterwissenschafterin, Autorin und Filmemacherin für ihr im Hamburger "mareverlag" erschienenes Buch gewählt hat, ist äußerst treffend: "Die Überwindung der Langsamkeit". Vielleicht ist er fast schon zu bescheiden, denn in Wahrheit gelang Morse eine ebenso umwälzende wie bahnbrechende Erfindung: Am 24. Mai 1844 schickte er neben der 60 Kilometer langen Eisenbahnlinie von Washington nach Baltimore erfolgreich die erste elektronische Nachricht über eine Telegrafenleitung.

Welt mit einem Schlag deutlich kleiner

Der Text, den er in dem von ihm erarbeiteten Morse-Code mit Punkten und Strichen auf die Reise schickte, lautete: "What hath God wrought!", "Welche Wunder Gott tut!". In Wahrheit war es weniger einem Wunder des Allmächtigen als vielmehr der Dickschädeligkeit des damals 53-Jährigen zu verdanken, dass die Menschheit in ein neues Zeitalter eintrat und die Welt mit einem Schlag deutlich kleiner wurde. Auch im Handel war ab diesem Zeitpunkt nichts mehr wie früher.

Die Nachrichtenübermittlung war jahrhundertelang auf das natürliche Tempo von Menschen und Pferden, später auf die schon höhere Geschwindigkeit von Eisenbahnen oder Schiffen angewiesen gewesen, die elektromagnetische Nachrichtenübermittlung überwand diese Beschränkungen. Es war jedoch ein hart erkämpfter Triumph, den Morse da feierte.

Bevor ihm der amerikanische Kongress 1843 für den Bau einer Telegrafenlinie 30.000 Dollar bewilligte, war der Sohn eines calvinistischen Geistlichen, der sich auch als Geograf einen Namen gemacht hatte, aber bereits durch die sprichwörtliche Hölle gegangen. Als Porträt- und Historienmaler war er zwar nicht unbegabt - immerhin durfte er sogar US-Präsident James Monroe verewigen -, der finanzielle Erfolg stellte sich aber nie ein.

SOS: "Nächste Woche bin ich tot"

Als er Privatschüler in die damals noch ganz neue Kunst der Fotografie einweihte, die er in Paris bei Louis Daguerre kennengelernt hatte, wurde er einmal gebeten, die Unterrichtsgebühr eine Woche später bezahlen zu dürfen. "Nächste Woche", soll Morse geantwortet haben, "bin ich tot." - "Tot, Sir?" - "Ja, verhungert."

Aller Skepsis der Behörden und mancher Intrige zum Trotz gelang Morse aber doch noch der Durchbruch, und wenige Jahre vor seinem tatsächlichen Tod 1872 wurde nach mehreren Versuchen sogar ein Unterseekabel im Atlantik verlegt, womit nun auch zwischen Europa und Amerika per Draht kommuniziert werden konnte. Eine Neuerung, die auch mehr als 150 Jahre danach Respekt verdient, auch wenn längst Drahtlosigkeit en vogue ist und der Begriff SMS wohl schon geläufiger ist als der Morsecode für SOS (dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz).

Interpretativer zugang

Margit Knapp hat keine trockene Biografie geschrieben, teilweise resümiert sie beinahe romanhaft die Höhen und Tiefen im Leben des 1791 geborenen Morse, die Quellentreue ist dabei nicht oberstes Primat. Dass dadurch wohl nicht jede Assoziation oder interpretative Beschreibung - etwa von Gemütszuständen - historisch gesichert ist, darf als künstlerische Freiheit durchgehen. Samuel Morse, der verträumte Techniker mit dem Hang zur Kunst (oder umgekehrt), hätte gewiss Verständnis dafür gehabt. (APA, 18.6.2012)