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Abgeordnete verlassen das Plenum

Foto: dapd/Punz

Wien - Am Anfang war die Änderung der Tagesordnung, am Ende standen Gebrüll, Beschuldigungen und attestierter Verfassungsbruch: SPÖ, ÖVP und Grüne hatten sich - wie exklusiv berichtet - darüber geeinigt, wie das Parlament künftig in Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) einbezogen werden kann.

Der entsprechende Antrag wurde auf die Tagesordnung der Nationalratssitzung gesetzt, ohne, wie es üblich ist, die anderen Parteien zu informieren und in einer Präsidiale zu besprechen. Die Wirkung auf FPÖ und BZÖ war immens. In Wortmeldungen sprachen sie lautstark von einer "Nacht- und Nebelaktion", von einem "schwarzen Tag für den österreichischen Parlamentarismus". ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf bezeichnete die Fraktionen als "Hooligansektor", er kassierte einen Ordnungsruf.

"Tiefpunkt"

Beide Klubs verließen den Saal, veranstalteten eine Sonderpräsidiale und beriefen Pressekonferenzen ein. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache empörte sich über einen "parlamentarischen und demokratiepolitischen Tiefpunkt". SPÖ, ÖVP und Grüne hatten sich geweigert, die Diskussion über den Tagesordnungspunkt vom letzten Platz vorzuziehen, und sie somit während der Live-Fernsehübertragung abzuhalten.

Das Ziel sei wohl, dass "so wenig Menschen wie möglich" davon erfahren, sagte Strache. Der ESM sei nichts anderes als ein Schritt hin zu einem "europäischen Bundesstaat" und eine Abtretung der Budgethoheit "à la Kopie der Vereinigten Staaten von Amerika".

BZÖ-Chef Josef Bucher sah eine "Aushebelung des Parlamentarismus" - es habe im Vorfeld weder Gespräche noch Verhandlungen gegeben. Tatsächlich wurde das Gesetzesvorhaben am Donnerstag zu später Stunde im Parlament diskutiert. Danach wird es im Verfassungsausschuss behandelt und soll dann Anfang Juli schließlich beschlossen werden. Die Koalition und die Grünen argumentierten, es sei genug Zeit bis zum Beschluss, außerdem gehe es um eine Materie, die eine Stärkung der parlamentarischen Mitsprache bringe. Der gemeinsame Initiativantrag soll dem Nationalrat Mitbestimmungsrechte bei Entscheidungen des ESM, in dem Österreich von der Finanzministerin vertreten wird, geben.

"Milliarden an Pleitestaaten"

Um Entscheidungen im ESM, wie die Gewährung von neuen Hilfen, Vertragsänderungen, Aufstockung des Kapitals und ähnlichem zuzustimmen, braucht die Ministerin künftig eine Ermächtigung des Nationalrats. Blaue und Orange teilen diese Einschätzung nicht. BZÖ-Chef Bucher erklärte, dass künftig "bei Milliardenzahlungen an EU-Pleiteländer keine reale Mitbestimmung des Parlaments vorgesehen ist".

Die FPÖ sieht einen Verfassungsbruch. Außerdem werde zwar der Anschein parlamentarischer Mitbestimmung suggeriert, tatsächlich sei es ein "Parlamentsstreich sowie eine Verhöhnung unserer Demokratie".

Dass die Grünen mit den Regierungsparteien stimmen wollen, begründet auch ihr Verhandler Werner Kogler mit der Stärkung des Parlaments. Allerdings macht er einen tatsächlichen Beschluss des Initiativantrags von Fortschritten bei der Finanztransaktionssteuer, der Einführung von Eurobonds und einer Investitionsoffensive abhängig. Dabei soll vor allem die EU-Hausbank EIB gestärkt werden. Der Haken an der Sache: Diese Fragen können nur auf europäischer Ebene geklärt werden, nicht aber in Österreich. Daher gehen Beobachter davon aus, dass eine Zustimmung der Grünen nur Formsache sei.

Übrigens fiel die Abwesenheit von FPÖ und BZÖ nicht allen Abgeordneten unangenehm auf: Noch nie sei die Zeit im Plenum so angenehm gewesen, befanden manche Mandatare. (Saskia Jungnikl, Andreas Schnauder, DER STANDARD, 15.6.2012)