Michael Gira und Swans suchen die Erlösung im heiligen Lärm des Rock in Zeitlupe.

Foto: Young God

Michael Gira mag privat wie auch im professionellen Umgang nicht einmal ansatzweise der netteste Mensch sein, den man sich vorstellen kann. Eher muss man ihn sich als Lou Reed vorstellen, wenn dieser einmal nicht mit einem, sondern gleich drei linken Füssen aufgestanden ist, er in aller Herrgottsfrüh im Stiegenhaus seinen Nachbarn John Cale getroffen hat und es auch sonst seit Tagen regnet. Künstlerisch gesehen stellt Michael Gira aber nach wie vor eine imposante Erscheinung dar.

Mit seiner Band Swans produzierte er in den 1980er-Jahren bis heute unerreicht zähe, qualvolle, brutale und an den Rand des akustisch Erträglichen geprügelte Statements eines Anti-Rock, der weniger nach freiheitsversprechender Freizeitbeschallung als nach Teufelsaustreibung klang. Die zwischen 1983 und 1986 veröffentlichten Alben Filth, Cop und Greed zählen zum Härtesten und Intensivsten, das Musik mit bescheidenen technischen Mitteln bei gleichzeitig infernalischer Lautstärke zu bieten hat.

Noch dazu gingen Gira und die Swans mit der Abrissbirne gegen Harmonie und Melodie vor und schalteten bei hochtourig laufendem Motor in den ersten Gang zurück. Wenn der Rhythmus langsamer pocht als der menschliche Puls wird dies generell als mindestens unangenehm empfunden. Dies ist kein Thema für "Schöner Leben". Gira attackierte sich und das Publikum.

Die Texte handelten von körperlicher Gewalt, Entgrenzung - und immer wieder von Gott, Jesus, der Sünde und dem Flehen um Erlösung. Die großen wilden (Schmerzens-)Männer dieser Zeit, zu denen etwa auch Nick Cave mit The Birthday Party zählt, blätterten gern in der Bibel, um drastische existenzielle Befindlichkeiten allgemeinverständlich brüllend erläutern zu können.

Später wurde Michael Gira dann etwas ruhiger. Mit einer Coverversion des Joy Division-Klassikers Love Will Tear Us Apart gelang den Swans sogar ein Underground-Hit. Aufgrund seiner finanziell aussichtslosen Lage warf Gira mit den Swans allerdings 1997 das Handtuch. Er betrieb mit wechselnden Musikern sein inhaltlich zwar nach wie vor gnadenloses, autobiografisch selbstzerfleischendes Soloprojekt Angels Of Light, auf dem er die alten repetitiven Muster der Swans Richtung grimmigen Folk deutete.

2010 reformierte Michael Gira die Swans. Mit dem Album My Father Will Guide Me Up a Rope To The Sky gelang ein souverän die unduldsamen Qualitäten der Frühzeit der Swans mit den reflexiveren Errungenschaften der Angels Of Light versöhnendes Comeback. Allerdings zeigten erst die Konzerte einer anschließenden Welttournee, wie Gira die erratischen Songbrocken des Albums eigentlich konzipiert hatte.

Lautstärke, Crescendos, Feedback, heiliger Lärm. Dazu Glockenspiel und "Praise the Lord! Come down, say his name out loud!" werden auf We Rose From Your Bed With The Sun In Our Head auf bis zu halbstündige Exerzitien ausgedehnt. Neben den alten "Klassikern" wie I Crawled oder Sex, God, Sex finden sich auch Neues. Das Hören dieser im Vergleich zum Studio ungleich intensiveren Arbeit macht die Intention Michael Giras deutlich: Hinter all der Gewalt, die einem da entgegentönt, steht die Sehnsucht, erlöst zu werden und seinen Frieden zu finden. Lautstärke als Befreiungsschlag.

Nach der Abreibung fühlt man sich erstmals wirklich wohl. Die Swans sind ein Fight Club alter Schule.    (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 15.6.2012)