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Stets im eleganten Maßanzug, gehörte Beat-Literat und Freidenker William S. Burroughs zu den maßgeblichen US-Künstlern des 20. Jahrhunderts.

Foto: APA / Estate of W. S. Burroughs

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Eines seiner späten "Shotgun Paintings".

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Wien - Eine Schulklasse auf Wienwoche schlurft missmutig, wie es sich für Teenager gehört, mitten durch die Pressekonferenz in der Wiener Kunsthalle vorbei Richtung Zirkusausstellung. Sie weiß gar nicht, was ihr entgeht. Immerhin verhandeln die Ausstellungskuratoren Synne Genzmer und Colin Fallows emotionslos und mit in geheimen Kunstausbildungslagern zu gleichförmigem Gemurmel abgestumpfter Kuratorenprosa gerade das Werk eines der wirkungsmächtigsten US-Künstler des 20. Jahrhunderts.

Es geht um die Ausstellung Cut-ups. Cut-ins, Cut-outs und William S. Burroughs (1914-1997): Waffennarr, Drogenfresser, Freidenker, Keinen-Scheiß-Draufgeber ("You gotta say yes to another excess"), Erfinder der literarischen Cut-up-Methode. Mit dieser Technik, die frei assoziierte Textbausteine durcheinandermischt und sie mit tiefer Verbeugung vor dem Uhu, der Schere sowie dem Bürobedarfsfachhandel hin zu offenen Erzählungen kombiniert, wurde er zu dem, was der Ausstellungskatalog als "Ikone der amerikanischen Beat-Generation" bezeichnet: "Life is a cut-up. As soon as you can walk down the street your consciousness is being cut by random factors. The cut-up is closer to the facts of human perception than linear narrative."

Diese Technik spielt mit der geringen Aufmerksamkeitsspanne des modernen Menschen ebenso wie mit dessen leichter Verführbarkeit durch "new sensations". Mit seinen frühen Tonbandexperimenten beeinflusste er Jahrzehnte vor der Samplingtechnik und der Random-Funktion im CD-Laufwerk auch die Arbeitsweise von so unterschiedlichen Künstlern wie den Beatles (Eleanor Rigby!) oder David Bowie und Brian Eno in deren Berlin-Phase. Patti Smith gab an, von Burroughs ebenso inspiriert zu sein wie Laurie Anderson.

Ab Ende der 1970er-Jahre wurde Burroughs auch von der britischen Post-Punk- und Industrial-Szene für sich vereinnahmt. Drastische pornografische Inhalte und der semiautobiografische Drogenwahn sowie die dadurch bedingte Paranoia in Burroughs' Romansimulationen Naked Lunch, Junkie, The Soft Machine oder Nova Express waren das ideale Unterfutter für eine sinistre Kunst, die ab 1979 mit der Regierungszeit Margret Thatchers den sozialen Niedergang und die Endzeitstimmung einer Industriegesellschaft dokumentierte. Bands wie Throbbing Gristle oder die nach einer Kurzgeschichte Burroughs' benannte Band 23 Skidoo machten radikale Antimusik, beeinflusst von einem im Maßanzug steckenden Junkie und Freidenker. Nur weil man paranoid ist, bedeutet das nicht, dass sie nicht hinter einem her sind.

Zuletzt durfte sogar der mit seiner selbstmitleidigen Weinerlichkeit so gar nicht zu Burroughs passende Kurt Cobain soundtracktechnisch einen Lesungsausschnitt mit Dröhngitarre behübschen: "The ,Priest' they called him." Die vielleicht schönste Arbeit des zwischen Sound- und Textcollagen wandernden Literaten findet sich allerdings auf dem 1990 erschienenen Album Dead City Radio. Burroughs interpretiert zum Gänsehautkriegen Marlene Dietrichs Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Sprache ist ein Virus nicht von dieser Welt.

Das alles kann man in den sechs Räumen der Wiener Ausstellung zwar anhand von handgeklebten Originalmanuskripten schon auch erahnen. Dazu gesellen sich seine berühmten "Shotgun Paintings" und durchschossenen Türen sowie eine Bücherwand mit Burroughs' Lieblingslektüre (darunter Dr. X - Tagebuch eines jungen Arztes) oder Collagen und späte, heiter-naive Skizzen.

Der diesbezügliche Musikraum allerdings, in dem Videos von Burroughs oder mit ihm assoziierter Musiker und Künstlerkollegen laufen, ist mit zwei externen Laptop-Winzi-Lautsprechern vielleicht akustisch doch etwas bescheiden veranlagt. Pssst, bitte leise sein, 23 Skidoo trommeln gerade auf Ölfässern den Weltuntergang ein! Der zur Ausstellung veröffentlichte Buchkatalog ist einen Besuch aber allemal wert.    (Christian Schachinger, DER STANDARD, 14.6.2012)