"Fuck you, Motherland!" - Der Chinese Ai Weiwei mit Kopfverletzung im Spital, ...

Foto: Filmladen

...  der deutsche Maler Gerhard Richter bei der Arbeit an einem neuen Gemälde.

Foto: Stadtkino

Wien – Der eine Künstler wurde zur Symbolfigur für den Kampf um Freiheit und Bürgerrechte, die clever auf Sichtbarkeiten und soziale Netzwerke zurückgreift; der andere ist ein an Aufmerksamkeit um seine Person eher desinteressierter Maler, der hinter seinem stilistisch vielseitigen Werk entspannt in Deckung geht. Allein ihre Popularität scheint Ai Weiwei (54) und Gerhard Richter (80) auf den ersten Blick zu einen, zwei der bedeutendsten Gegenwartskünstler, die nun auch Gegenstand zweier unterschiedlicher Dokumentarfilme wurden.

Die Differenzen machen es allerdings auch verführerisch, Ai Weiwei – Never Sorry und Gerhard Richter Painting einander gegenüberzustellen, weil sich Kunst und Eigenheiten der Porträtierten in der Form der Filme auf interessante Weise widerspiegeln. Die US-Regisseurin Alison Klayman hat Ai Weiwei drei Jahre lang durch eine Phase begleitet, in der sich sein Weltruhm durch das in seiner Arbeit immer stärker hervortretende politische Engagement erst verfestigt hat. Die Ereignisse überschlagen sich, am Ende wird der Künstler verhaftet. Der kameraerprobte Chinese zeigt sich als souveräner Selbstdarsteller. Er ist nie um Worte verlegen, er erarbeitet sich mit diesen - über Blogs, später via Twitter – vielmehr seine Öffentlichkeit.

Die deutsche Filmemacher Corinna Belz, die mit Das Kölner Domfenster (2007) bereits eine kurze Arbeit über Richter hergestellt hat, stand vor einer anderen Herausforderung. Um den notorisch scheuen Maler, der Sprache als Medium der Annäherung zumindest skeptisch, wenn nicht ablehnend gegenübersteht, bei der Arbeit zu filmen, muss sie erst Wege finden, ihre Gegenwart zu legitimieren. Sie ist ein Eindringling in dem Atelier, der mit der Kamera den intimen Akt des Malprozesses beeinflusst, ja stört. Irgendwann hält Richter inne, meint, er sei mit seinem letzten Schritt – dem Auftragen von blauer Farbe auf der Leinwand - zu weit gegangen: "ein Irrtum".

Mit Pinsel und Rakel

Auch wenn Richter auf die ihm eigene lakonische Art kommentiert, das großformatige Bild halte nicht – "es sieht gut aus, vielleicht für zwei Stunden" -, so bekommt man in dem Film doch die rare Gelegenheit, dem Maler beim Schaffensakt zu folgen. Eine schöne Idee von Belz ist es, die Kameraeinstellung an die Leinwand anzupassen, sodass das Bild auch auf der Kinoleinwand Gestalt annimmt. Wie sich die breiten Pinselstriche, die Weiterbearbeitung mit der Plastikrakel auf das Gemälde auswirken, wie dabei ständig veränderliche Texturen und Töne entstehen, die es dann neu abzuwägen gilt, das gehört zu den erhebendsten Momenten der Dokumentation.

In Ai Weiwei – Never Sorry erfährt man vom Arbeitsumfeld leider nicht so viel. Nur kurz wird erwähnt, dass der Meister eine Truppe an treuen Mitarbeitern um sich weiß – einer davon bezeichnet sich als Attentäter seines Herrn. Überhaupt scheint Klayman ein wenig dem Glauben aufzusitzen, man dürfe bei keiner Sache zu lang verweilen, erst die Ereignisfülle mache den Film – und für jede von Ai Weiweis oft recht einleuchtenden Kunstaktionen müsse ein Experte gefunden werden, der die Essenz der Arbeit in zwei Sätzen zusammenfasst.

Was sich durch diese Unruhe hindurch dennoch mitteilt, ist die Standfestigkeit und Courage, mit der sich Ai Weiwei gegen die Willkür eines despotischen Regimes stemmt. Mitunter hat das Nebeneinander von künstlerischer Intervention und staatspolizeilichem Eingriff einen geradezu komischen Effekt: Als Ai Weiwei per Twitter zu einem Dinner in Chengdu bat und dort am Gehsteig tafelte, filmte die Polizei die Aktion für alle sichtbar mit – und der Kameramann des Künstlers wiederum die Polizei. "Ich bin wie ein Schachspieler", sagt Ai Weiwei an anderer Stelle dazu treffend, "ich reagiere auf die Schritte meines Gegenübers."

Mit dieser Lust am wendigen Dialog unterscheidet er sich von Richter, der seine Sätze verlegen kurz hält und selbst bei der Betrachtung von alten Privatfotos nicht ins Reden kommt, sondern vielmehr betont, dass diese nichts preisgeben würden. "Jedes Bild ist der Todfeind des anderen" , sagt Richter, Adorno zitierend. Es lässt sich auch als Einspruch gegen das Bild verstehen, das Belz von ihm machen will: Neben dem Werk ist kein Platz für ein Künstlersubjekt – das Mysterium der Kunst muss genügen, nebst dem Apparat, der sie der Öffentlichkeit zuführt.

Ai Weiwei bleibt in Ai Weiwei – Never Sorry dagegen fast durchwegs Kunstfigur. Zu der Person dahinter, die grübelt, erfindet, sich vielleicht fürchtet, dringt Klayman nicht vor. Einmal, in New York, am Weg zum Central Park, sagt er, der in den 1980er-Jahren selbst hier gelebt hat, spontan zu seinem Begleiter: "Es gibt keinen großartigeren Ort auf dieser Erde." (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 14.6.2012)