In England ist jeder Gärtner, auch ohne es extra zu sagen. In Irland ist es anders. Hier kämpfte man bis vor kurzem ums Überleben. Die neuen Gärten sind Zeichen für Stabilität.
Das irische Klima macht Gärten zwischen Dublin und Belfast zu blühenden Kunstwerken. Ihre Besitzer sind stolz und laden interessierte Besucher gerne nach Hause ein. Manchmal gibt es einen Cup of Tea. Von Karin Pollack
Ein kleiner Birkenhain. Zwischen Kiesbeeten wachsen ziemlich große Gänseblümchen. Ein gewaltiger Rosmarinstrauch umarmt den Zaun am Eingang. Hier, in der 45 Sandford Road im Dubliner Vorort Ranelagh, zwitschern die Vögel um die Wette. Doch der Taxifahrer kennt die Adresse nicht. Noch nie habe er Touristen zur Besichtigung eines Gartens chauffiert, sagt er.
Altmodisch und schlecht gelaunt
Die Klingel neben der blau gestrichenen Tür im hier so typisch georgianischen Stil hat einen altmodischen Klang. Ein Herr im Tweed-Sakko öffnet: "Sie suchen sicher meine Frau, es ist die Blonde, schlecht Gelaunte draußen im Garten", sagt er, ohne eine Miene zu verziehen. Und dann: "Die mit den schmutzigen Händen." Zwei Dackel bellen, im Wohnzimmer steht noch das Teegeschirr. Wer bei Helen Dillon zu Gast ist, der kommt wegen ihres Gartens. Ein einziger Blick durchs Fenster genügt, um die Pracht des ganzen Ensembles zu erfassen.
Rechts und links eines langgestreckten Wasserbeckens schießen Tulpen, Rittersporn und 200 andere unterschiedliche Pflanzen aus ihren Beeten. Ganz hinten ein Rosenbogen, überall Töpfe, eine wilde Mischung aus Ordnung und Chaos, und mittendrin die Schöpferin dieses malerischen Ensembles, das an ein impressionistisches Gemälde erinnert. Helen Dillon, geboren in Schottland und seit 30 Jahren mit einem Iren verheiratet, hat früher als Gartenjournalistin gearbeitet, redet schnell und hat viel Humor.
"Oh, Lady Hillingdon, not good in bed, but great against the wall" (Übersetzung: Lady Hillingdon, sie ist nicht gut im Bett, aber großartig gegen die Wand), sagt sie augenzwinkernd und betrachtet liebevoll eine orange-gelbe Rose zu ihrer Rechten. Es ist der erste sonnige Tag im Mai. "In England ist jeder Hausbesitzer auch Gärtner, und zwar ohne es extra sagen zu müssen. Hier in Irland ist es anders. Bis vor kurzem kämpfte man ums Überleben. Da hatte niemand Zeit, sich um den Garten zu kümmern", sagt sie. Dass die Mittelklasse das Gärtnern entdeckt hat, sei für sie ein Zeichen für Stabilität.
"Are you a gardener?", erkundigt sich Dillon bei ihren Besuchern, ohne jemals die Antwort abzuwarten. Klimazone, Sternrußtau, ihr liebstes Refugium das Glashaus, Setzlinge und Samen aus anderen Ländern, der schrecklich kalte Winter 2011 ... Das Gespräch entspinnt sich wie von selbst. Auch später bei einer Tasse Tee geht es um winterhart (oder nicht), und klar: Im Juli solle man zurückkommen, denn da erlebt man die 4000 Quadratmeter in voller Pracht.
Für alle, die zwei Tage in Dublin sind, sind private Gärten wie jener Helen Dillons eine Möglichkeit, nicht nur touristische Hotspots abzugrasen, sondern auch hinter die Kulissen der Häuserfassaden zu blicken. Die Passion fürs Gärtnern liefert Gesprächsstoff für viele Stunden.
Die Pracht der Pflanzen hat in Irland maßgeblich mit dem Golfstrom zu tun, der auf der grünen Insel fast alles - inklusive Palmen - gedeihen lässt. Seit Jahrhunderten haben deshalb Entdeckungsreisende Samen und Ableger aus aller Welt hierher gebracht.
Viele Exoten
Jimi Blake hat in seinem Garten in Huntington Brook chinesisches mit heimischem Gewächs vereint. In einer selbstgebauten Blockhütte, rund 20 Minuten von Dublin entfernt, hat der gelernte Gärtner eine einzigartige Landschaft geschaffen, die er Jahr für Jahr umbaut und neu gruppiert. "Was ich hier mache, ist ei-gentlich ein Wahnsinn", sagt er, reißt einen Löwenzahn aus und steckt ihn in die Jackentasche. "Dieses Unkraut stört meine Ordnung", murmelt er.
Jimis Wahnsinn liegt in der Familie. Auch Mutter und Schwester haben ihre eigenen Territorien, die in der jungen, irischen Garten-Community gleichermaßen legendär wie gepriesen sind. Jimi ist der Hippie unter den Gärtnern. Einer, der das, was er schafft, anderen als Erholungsraum zur Verfügung stellt. Sanft sagt er dann: "Ich versuche, mehr Ruhe ins Leben zu bringen."
Der Stolz auf den eigenen Garten ist durchaus klassenübergreifend. Wer sich etwa die barocken Gärten in Powerscourt, eine Touristenattraktion ersten Ranges, ansieht, könnte auch im Nachbaranwesen Charleville vorbeischauen. Das geht allerdings nur auf "Appointment". Von einem Wachmann am Eingang werden die Besucher dann in Empfang genommen. Der "Owner", meint er, müsse dem Besuch aber erst noch zustimmen. Dass er in den meisten Fällen Zutritt gewährt, hat finanzielle Gründe: Wer seinen Garten an mindestens 60 Tagen im Jahr der Öffentlichkeit zugänglich macht, bekommt Steuernachlass. Viele Iren sind geschäftstüchtig und nutzen das Angebot.
Majestätisch abweisend liegt die graue, etwas palladianisch anmutende Villa von Charleville mitten in einer riesigen Parklandschaft. Menschen sind keine zu sehen, doch mit der Sechs-Euro-Erlaubnis wird ein simpler Spaziergang zu einem Erlebnis à la Alice im Wunderland. Das liegt an der Gartenarchitektur. Ein "walled Garden" hat nämlich viele Räume mit unterschiedlicher "Einrichtung". Eine Reihe von pyramidenförmig geschnittenem Buchs umsäumt den Tennisplatz hinter dem Haus. Durch einen Durchgang in der Mauer am oberen Ende öffnet sich ein Rosengarten, rundherum Hecken und mit Klematis bewachsene Mauern. In einem Abschnitt des Gartens plätschert ein Springbrunnen, dahinter öffnet sich ein kleines Labyrinth. In einem Bereich befindet sich ein Liliengarten, hinter dichten Hecken öffnet sich dann weit und majestätisch der Obstgarten. Ein bisschen verwaist wirken die vielen Bänke und Lauben dazwischen. "Es regnet ja oft", sagt ein Gärtner, der in seinem einem römischen Tempel ähnelnden Glashaus gerade Setzlinge teilt. Die Besitzer lassen sich in Charleville nicht blicken.
Der Hausherr führt persönlich
Ganz anders im Grey Abbey House, Nordirland, gut eine Stunde von der Hauptstadt Belfast entfernt. Lord William Montgomery führt höchstpersönlich über sein Anwesen. Die Hunde sind mit dabei. Montgomery ist um die 60 Jahre alt, trägt beige Hosen und zwei Wollpullover übereinander und beherrscht die Kunst des leichtfüßig-gebildeten Smalltalks.
"Jede Pflanze der südlichen Hemisphäre gedeiht hier aufs Beste", erzählt er, zeigt auf eine Riesen-Gunnera, auch Mammutblatt genannt, die über vier Meter hoch wird. Aber auch asiatische Bäume sind hier versammelt. Montgomerys Frau managt sogar Kooperationen mit Universitäten und züchtet alte Apfelsorten. Bei einem Tee lernt man als Besucher das Haus aus dem 18. Jahrhundert schließlich auch von innen kennen. Nein, Österreicher seien bisher noch nie da gewesen, lächelt der Hausherr.
Das Mekka aller Botanophilen liegt allerdings 20 Autominuten von hier entfernt: Mount Stewart. Auf 40 Hektar Fläche wurde er zwischen 1917 und 1935 von Lady Edith Londonderry angelegt. Seit 1956 wird das Anwesen vom britischen National Trust verwaltet.
Ein Lebensgefühl
"Alles hier ist sehr persönlich, ein Ausdruck von Ediths Leben mit vielen Hinweisen auf ihre Biografie", meint Chef-Gärtner Neil Porteous, der mit Ediths Aufzeichnungen die originalgetreue Bepflanzung rekonstruiert. Porteous kennt alle Geschichten. Der Mairi-Garten mit dem kleinen Faun in der Mitte etwa wurde angelegt, als Ediths jüngste Tochter geboren wurde. Ihre Geburt war eine Versöhnung mit ihrem Mann, der sie bis dahin oft und gerne betrogen hatte. Dodo war sein Spitzname. Und Ediths Rache war, ihn als hässlichen Vogel im zentralen Teil des Gartens neben vielen anderen märchenhaften Figuren für die Ewigkeit zu installieren.
Mehr Zeit als mit ihm verbrachte Edith nämlich mit "The Souls", den Seelen, einer dem Ästhetizismus verpflichteten Gruppierung. Deren Philosophie drückte Edith einst in Blumen und Beeten aus. Der sogenannte "Shamrock Garden" ist Ediths politischem Engagement verpflichtet. Irische Nationalepen und ihre Symbole sind hier kunstvoll als Buchsbüsche geschnitten.
"Wir versuchen, den Märchengarten, den sich Lady Londonderry ausgedacht hat, zu erhalten", sagt Porteous mit leicht schlechtem Gewissen. Hinter dem großen Teich liegt ihr Grab. "Derzeit fressen hier alles die Hasen auf. Das werden wir demnächst in Angriff nehmen." Im Frühling haben er und seine 40 Mitarbeiter besonders viel zu tun. Ein Rundgang in Mount Stewart dauert gut zwei Stunden. Kaum ein Gewächs, das Porteous nicht kennt. Auch dann, wenn es sonst nur in Patagonien wächst.
"Das Wunderbarste für einen Gärtner hier ist das Klima", sagt Porteous und führt durch duftende Rhododendron-Wälder. Eine sanfte Brise weht über den sogenannten spanischen Garten den Hang herauf. Im Speisesaal von Mount Stewart stehen die Sessel vom Wiener Kongress. Wie sie hierhergekommen sind, kann er nicht beantworten. Leider ist auch Londonderrys Urenkelin, die heute noch im Haus wohnt, gerade nicht da. Sie weilt in Venedig und kommt erst wieder im Juli zurück - dann, wenn der Garten ihrer Urgroßmutter am prachtvollsten ist. (Karin Pollack, Album, DER STANDARD, 9.6.2012)