"Die Trends sind klar: Mehr kompetitive, leistungsorientierte Förderung und weniger öffentliche Finanzierung", sagt Estermann.

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Standard: Gibt es den Trend in Europa, dass die öffentliche Uni- Finanzierung infolge der Finanzkrise weniger wird?

Thomas Estermann: Die Finanzkrise hat unterschiedliche Auswirkungen. In Europa kommen durchschnittlich 75 Prozent des Gesamtprozentanteils der Uni-Finanzierung aus öffentlichen Geldern. Es gibt sehr viele Länder, die sehr stark gekürzt haben, bis weit über 30 Prozent der öffentlichen Budgets. Das hat natürlich sehr drastische Auswirkungen. Diese Einschnitte sind sehr schwer zu verdauen.

Standard: Wie bilden sich die drastischen Kürzungen an der Universität ab?

Estermann: Manche Länder federn die Einschnitte ab, indem sie die Studiengebühren erhöhen. In den meisten Ländern haben die drastischen Kürzungen auch Auswirkungen auf die Gehälter der Universitätsbediensteten. In Irland wurden Gehaltskürzungen bis zu 30 Prozent vorgenommen. Oder das Kurs-Angebot und Öffnungszeiten werden reduziert.

Standard: Thema Studiengebühren: In Österreich gibt es keine gesetzliche Regelung. Darf die Autonomie der einzelnen Universitäten so weit gehen?

Estermann: Diese sehr heikle politische Debatte wird oft schwarz-weiß gesehen. Es wäre hilfreicher, die Debatte sachlicher zu führen. Wichtig ist nicht, isoliert über Gebühren nachzudenken, sondern im Kontext des Gesamtsystems. Dabei gilt es natürlich auch entsprechende Unterstützungssysteme zu schaffen. Österreich ist in einer Ausnahmesituation. Diese Rechtsunsicherheit, ob Unis berechtigt sind, Studiengebühren einzuführen oder nicht, gibt es in Europa nicht. Für Österreich ist die entscheidende Botschaft: Die Regelung muss klar sein.

Standard: Gibt es ein ideales Finanzierungsmodell für Unis?

Estermann: Nein. Ein Modell, das für alle funktionieren würde, gibt es nicht. Weil man die unterschiedlichen Rahmenbedingungen in Betracht ziehen muss. Es hängt davon ab, wie ein Staat generell finanziert ist, was die öffentliche Finanzierung leisten soll, welche Steuerbeiträge es gibt. Aber es gibt gewisse Prinzipien, die man aufstellen kann: Es ist wichtig, europäische Universitäten öffentlich zu finanzieren, aber auch Einkommen aus anderen Finanzierungsquellen zu lukrieren. Denn wenn eine Uni von nur einer Quelle abhängig ist, sind die negativen Auswirkungen im Falle von Kürzungen sehr viel höher, als wenn sie breiter gestreute Einkommensquellen hat.

Standard: Ist es die Aufgabe der Universität, zusätzliche Finanzierungsmodelle zu finden, weil auf die staatliche Finanzierung kein Verlass mehr ist?

Estermann: Es ist nicht Aufgabe eines einzelnen Akteurs, hier alles zu übernehmen. Alle Akteure müssen zusammenarbeiten. Andere Mittel zu akquirieren, bedeutet auf Systemebene Anreize und Unterstützung zu schaffen. Auf Universitätsebene bedeutet es, zu investieren und es in die Strategieplanung zu übernehmen. Es hat jeder seinen Teil zu tragen, um die Finanzierung in die Zukunft weiterzuentwickeln. Denn die Finanzierung der Universitäten wird sich generell ändern. Die Trends sind klar: Mehr kompetitive, leistungsorientierte Förderung und weniger öffentliche Finanzierung. Das heißt, man muss rechtzeitig andere Finanzierungsquellen entwickeln.

Standard: Den Optimismus, dass Universitäten weiterhin öffentlich finanziert werden, sollte man also ablegen?

Estermann: Natürlich werden die Universitäten zu einem Großteil hoffentlich nach wie vor öffentlich finanziert werden. Aber in vielen europäischen Ländern wird diese Finanzierung nicht weiter ausgebaut. Die Unis müssen sich auf einen Finanzierungs-mix einstellen und alternative Finanzierungsmodelle ausbauen. In einigen Ländern wie England zum Beispiel wird bereits ein hoher prozentueller Anteil mit Studiengebühren finanziert, derzeit durchschnittlich 25 Prozent des Gesamtbudgets. (Stefanie Ruep, DER STANDARD, 13.6.2012)