Bild nicht mehr verfügbar.

Höhere Lebenserwartung? Könnte gut sein, wenn man einen relativ alten Vater hat, dessen Vater wiederum ebenfalls spät Kinder bekam.

Foto: APA/Barbara Gindl

Ihre Struktur ist simpel, doch ihre Funktion ist von entscheidender Bedeutung: Telomere sind relativ kurze, sich wiederholende DNA-Sequenzen am Ende eines Chromosoms, die unter anderem dazu da sind, das Erbgut zu schützen. Die Telomere tragen keine Codes. Wenn sie Bruchstücke verlieren, hat das keine Auswirkung auf die Funktion der Tochterzellen. Bei Genen hingegen wäre ein Teilverlust äußerst problematisch.

Die Schutzkappen werden zwar regelmäßig von einem Enzym namens Telomerase instand gesetzt, aber ihre Gesamtlänge verkürzt sich dennoch mit der Lebensdauer. Es gibt allerdings eine wichtige Ausnahme: männliche Keimzellen. In den Hoden ist Telomerase besonders aktiv. Kein Wunder, denn ein gesunder Mann produziert etwa 100 Millionen Spermien täglich. Bei solchen Teilungsraten ist der Telomer-Verschleiß natürlich enorm.

Der Reparaturmechanismus erzeugt einen seltsamen Nebeneffekt. Die Samenzellen älterer Männer weisen besonders lange Telomere auf, und sie wachsen mit den Jahren weiter. Wie diese Verlängerung zustande kommt, konnte noch nicht endgültig geklärt werden. Wissenschafter sind jedoch von dem Phänomen fasziniert.

Der US-Anthropologe Dan Eisenberg von der Northwestern University im Bundesstaat Illinois befasst sich intensiv mit der Funktion menschlicher Telomere. Eine neue Studie, die er zusammen mit zwei Kollegen im Fachblatt "PNAS" veröffentlicht hat, offenbart verblüffende Details. Die Forscher haben auf den Philippinen die Telomer-Längen in weißen Blutkörperchen von insgesamt 1779 jungen Erwachsenen und deren Müttern untersucht, und diese anschließend mit dem Alter ihrer Eltern und Großeltern bei der Geburt des Nachwuchses verglichen.

Die Ergebnisse zeigen: Je älter der Vater, desto länger die Telomere der Kinder, bei Mädchen wie bei Jungen. Und denselben Effekt gibt es in Bezug auf den Großvater, sogar kumulativ. Wer also einen relativ alten Vater hat, dessen Vater wiederum ebenfalls spät Kinder bekam, der verfügt in der Regel über besonders lange DNA-Schutzkappen.

Aus evolutionärer Sicht dürfte die Telomer-Verlängerung große Bedeutung haben, sagt Dan Steinberg. Wenn Männer sich erst spät fortpflanzen bedeutet dies meist, dass sie in einem Umfeld mit guten Lebensbedingungen und einer hohen Lebenserwartung aufgewachsen sind. "Dieser Mechanismus zeigt, wie solche Information über die DNA von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden kann", sagt Steinberg im Gespräch mit dem STANDARD.

Lange Telomere werden medizinisch in kausalen Zusammenhang mit einer höheren Lebenserwartung gebracht. Der Hintergrund: Zellen mit derart geschützten Chromosomen können sich wahrscheinlich häufiger ohne Defekte teilen, und das dürfte die Regenerationsfähigkeit vieler Gewebe fördern.

Die Medaille hat aber vermutlich auch eine Kehrseite, glaubt Dan Steinberg. "Lange Telomere könnten kostspielig sein", sagt der Forscher. Sie führten unter Umständen dazu, dass ein Organismus zu viel Energie in den langfristig orientierten Erhalt seines Körpers investiert. Wenn aber die Lebenserwartung aufgrund äußerer Einflüsse kurz ist, dürfte das die evolutionär falsche Strategie sein. Dann ist es wohl besser, sich möglichst früh fortzupflanzen und all seine Kraft darin zu investieren. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 12.6.2012)