Gewinner des Publikumspreises: "Bayiri - La Patrie"

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Innsbruck - Eine Frau fällt vom Himmel. Sie könnte ein Engel sein. Aber dafür ähnelt sie zu sehr einer Amazone. Es könnte sich um eine Werbung für Herrendeodorant handeln - doch dafür ist die Welt, in die sie hineinfällt, zu zivilisationsfern. Nur Natur gibt es hier: karge Felsen, weite Wasserflächen, Felder und Bäume, die im Wind rauschen. Gleichzeitig mit der Frau ist ein Mann in diese Welt gefallen, auch ein kleiner Junge streift durch die Wälder.

Der Film "Archeo" des slowenischen Regisseurs Jan Cvitkovic, der am 21. Internationalen Filmfestival in Innsbruck den Preis für den besten internationalen Spielfilm gewonnen hat, kommt achtzig Minuten lang gänzlich ohne Dialoge aus. Umso deutlicher hört man den Atem der Menschen, die Vibrationen der Erde während eines Gewitters oder das Rauschen der Wellen. Die Handlung ist reine Möglichkeit: Viel könnte, nichts davon muss sein. Die drei Menschen bekämpfen sich, nähern sich einander an. Am Ende blicken sie nebeneinandersitzend auf die Landschaft und berühren einander sacht - als wären sie eine kleine Familie.

Cvitkovic zeichnet die Sehnsüchte einer zivilisationsmüden Moderne nach: Keine Diskurse engen ein, keine Zuschreibungen versperren die Sicht. Die Natur, konzentriert und ohne Eile von der Kamera beobachtet, ist die einzige Notwendigkeit in dieser Welt. Einmal isst die Frau knurrend und im Stehen einen toten Hasen. Sie beißt in seine Eingeweide, Blut verschmiert ihr Gesicht. Als sie nackt baden geht, folgt ihr ein roter Schweif Menstruationsblut. "Der Mut zur Reduktion verleiht dem Film eine außerordentliche Ausdrucksstärke", so die Jury, die aus dem polnischen Kameramann Piotr Jaxa, der italienischen Regisseurin Michela Occhipinti und Seraina Rohrer, Direktorin der Solothurner Filmtage, bestand.

Gegenöffentlichkeit im Kino

Es ist kein Zufall, dass in Innsbruck mit dieser bildgewordenen Sehnsucht nach Elementarem ein Film ausgezeichnet wird, der sich weitab herkömmlicher Sehgewohnheiten bewegt, dem Zuseher jede Handreichung verweigert. Das 1992 gegründete Filmfest versteht sich als kinematografische Gegenöffentlichkeit: Statt westlichen Mainstreams werden hier Filme aus Lateinamerika, Afrika, Zentralasien und Osteuropa eingeladen und oft zum ersten Mal in Europa gezeigt. Diese Filme taugen selten zum Feelgood-Movie, erzählen sie doch oft von Krieg und staatlicher Willkürherrschaft, Mord und Vergewaltigung, Armut und Verzweiflung.

Der Spielfilm "Bayiri - La Patrie" des aus Burkina Faso stammenden Regisseurs S. Pierre Yaméogo, der den Publikumspreis gewann, zeigt Angst und Elend in einem Flüchtlingslager. Der Dokumentarfilmpreis ging an "Lieux Saints" des aus Kamerun stammenden Jean-Marie Teno, der darin nach dem Stellenwert des Kinos in Afrika fragt.

Ein Film, der bereits in den Kinos zu sehen war, erhielt den Südwind-Filmpreis: der kanadische Regisseur Philippe Falardeau erzählt in "Monsieur Lazhar" von einem algerischen Migranten, der als Aushilfslehrer eine vom Selbstmord der Lehrerin traumatisierte Schulklasse betreut. So konträr dieser Film sich zu "Archeo" oder den anderen Filmen verhalten mag, am Ende stellen sie dieselbe, elementare Frage: wie Menschen zusammenleben können. (Andrea Heinz, DER STANDARD, 12.6.2012)