Titanium-Juror Alfred Koblinger: "Die uns Österreichern vererbte Kleingeistigkeit aus allen Gehirnwindungen verbannen"

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"Woran es oftmals mangelt, ist Mut oder Begeisterung, auch einmal neue Wege zu gehen", sagt Media-Juror Andreas Weiss.

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Cyber-Jurorin Antonia Tritthart: "Facebook und Co. haben die Online-Werbung für immer verändert."

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Direct-Juror Dieter Pivrnec: Eine Arbeit, die bei der Löwenjagd mitspielen darf, müsse "neue Standards setzen, eine einzigartige Idee haben, exzellent exekutiert sein und messbare Erfolge nachweisen können".

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Von 17. bis 23. Juni wird Cannes wieder zum Mekka der Werbewelt. Die weltbesten Kampagnen werden in 15 Kategorien ausgezeichnet, rund 34.000 Arbeiten wollen gesichtet und bewertet werden. Welche Werbung mit einem Löwen in Gold, Silber, Bronze oder dem Grand Prix ausgezeichnet wird, entscheiden auch vier Österreicher mit.

"Vier lange Tage in Dunkelhaft im hässlichsten Gebäude der Welt mit heftigen Diskussionen bedeuten einen enormen Energieabfluss. Aber umgekehrt auch wieder unglaubliche Energiezufuhr durch außergewöhnliche Arbeiten. Es ist megaanstrengend, aber eine unvergleichliche fachliche Bereicherung", sagt Alfred Koblinger. Der Geschäftsführer von PKP BBDO ist dieses Jahr Mitglied der Titanium-&-Integrated-Jury.

"Mehr als Gänsehaut für die Netzhaut"

Koblinger: "Meine Kategorie in Cannes heißt nicht umsonst Titanium - sie hat sich in den letzten Jahren zur wichtigsten Disziplin in Cannes gemausert, und ich bin stolz, in dieser hochkarätigen Jury zu sitzen. Im Gegensatz zu einer Fachjury erwarte ich bei Titanium aber mehr als Gänsehaut für die Netzhaut, nämlich kreative Anschläge auf alle Sinne, spannende Diskussionen mit außergewöhnlichen Denkern, ein Fünf-Hauben-Menü für meine unerschöpfliche Neugier."

"Auffallen um jeden Preis ist nicht genug"

Was muss eine Arbeit können, um bei ihm zu punkten? Koblinger: "Außergewöhnliche Kampagnen basieren auf einer großen, ungewöhnlichen Idee, die umso wirksamer wird, wenn sie die Konsumenten auf allen Medienkanälen entsprechend der Qualität des jeweiligen Kanals begeistert und auch animiert, sich zu engagieren und im besten Fall Teil oder sogar Multiplikator der Kampagne zu werden. Auffallen um jeden Preis ist nicht genug."

Angst vor der Andersartigkeit

Die meisten Kampagnen, die uns dort begeistern, seien hierzulande zumindest aus Budgetgründen, "meist aber auch aufgrund der doch eigenartigen österreichischen Seele nicht oder kaum umsetzbar", sagt Koblinger. "Weil Werbeausgaben als Kosten, nicht als Investition gesehen werden. Weil der Anspruch an Differenzierung und Außergewöhnlichkeit schon im Vergleich mit dem nächsten lokalen Mitbewerber endet. Weil Angst vor der Andersartigkeit genau diese im Keim erstickt. So ist die Freude, einmal kurz in der Champions League mitzuspielen, zwar groß, man darf aber nicht vergessen, dass dann wieder auf Landesliga-Niveau auf holprigen Plätzen gespielt werden muss. Nichtsdestotrotz ist jede Minute dort ein Erlebnis - Cannes inspiriert, höhere Ansprüche zu setzen."

Schnitzel und Sachertorte

Andreas Weiss ist CEO von Aegis Media, er entscheidet bei den Media-Lions mit. Er sieht Österreichs Mediaszene durchaus gut gewappnet, um in solche Wettbewerbe zu gehen und auch zu überzeugen. Weiss: "Wir haben das mediatechnische Wissen auf Medien-, Werber- und Agenturszene, und die Auszeichnungen bestätigen das ja auch."

Warum es dennoch nicht öfter klappt? "Ich sehe die Größe des Landes oder der Budgets mit Sicherheit nicht als geeignete Ausrede für wenig ansprechende Leistungen. Woran es aber oftmals mangelt, ist Mut oder Begeisterung, auch einmal neue Wege zu gehen", sagt Weiss. "Da sind wir zu brav und begeistern uns zu gerne an dem Altbewährten. Wer aber immer Schnitzel kocht, kann nicht erwarten, dass mit dem gleichen Rezept plötzlich eine Sachertorte herauskommt."

Es muss nicht immer kompliziert und teuer sein

Weiss sieht Media als eine der "lebendigsten, spannendsten, witzigsten, dynamischsten Kategorien". Punkten können bei ihm außergewöhnliche Arbeiten, bei denen eine "mediale Plattform noch nie in der Form genutzt wurde, oder einfach eine witzige, überraschende Idee, die auch ganz schlicht sein kann". Weiss: "Es muss nicht immer das Komplizierte, Teure sein, das da überzeugt. Ich sah da schon wirklich bestechende Ideen, wo man sich fragt, warum nicht schon viel früher diese Idee gesehen wurde."

Billig und groß nicht mehr ausreichend

Welche Trends sieht Weiss im Media-Bereich?
1. Immer besseres Verständnis der Konsumenten, deren Denke und Motive.
2. Strategie gewinnt wieder an Bedeutung - billig und groß ist nicht mehr ausreichend.
3. Das Ergebnisdenken ist nicht neu, aber wird neu belebt durch umfassendere, vernetztere Methoden.
4. Fortschreitende Digitalisierung, die nun auch die klassischen Medien wie TV oder Outdoor vollkommen durchdringt.
5. Und daraus erstmalig die wirkliche Konvergenz von Medien, also das Zusammenwachsen von ehemals divergenten Plattformen und Nutzungsarten.
6. Die rasante Mobilisierung und Ver-SIM-sung des Medialebens.

Die Idee und mehr als eine technische Spielerei

Antonia Tritthart ist Geschäftsführerin von Traktor und beurteilt in Cannes die Einreichungen in der Kategorie Cyber. "Die Frage ist immer: Ist es mehr als eine technische Spielerei? Was ist die Idee? Wirklich große Arbeiten kombinieren beides und schaffen es zusätzlich, als Erste in eine neue Richtung zu gehen", beschreibt sie Arbeiten, die bei ihr weiterkommen.

Tritthart über ihren Jurorenjob: "Die Qualität einer Idee zu beurteilen ist ja genau das, was man jeden Tag in der Agentur tut. Nur dass die Idee jetzt nicht von einem eigenen Team, sondern einem Team einer anderen Agentur entwickelt wurde." Generell helfe die Diskussion über die Qualität einer Idee einem immer, seine eigenen Bewertungskriterien zu überprüfen und mal wieder zu hinterfragen.

Gespräche mit Konsumenten

Facebook und Co. hätten die Online-Werbung für immer verändert, sagt Titthart: "Weil es nicht mehr darum geht, möglichst viele Leute auf eine Unternehmenswebsite zu schleusen, sondern über digitale Kanäle mit den Konsumenten ein Gespräch zu führen. Für mich deckt Online-Werbung daher jede digitale Kommunikation ab, die eine Marke herstellt. Ob das ein Facebook-Posting ist der ein Banner, ist egal."

Heimische Arbeiten würden "sehr selten eine beeindruckende Umsetzung" schaffen. Tritthart: "Man merkt einer Arbeit natürlich an, ob daran ein Team von 20 Leuten sechs Monate gearbeitet hat oder vier Menschen ein paar Wochen. Österreichische Agenturen punkten 'nur' mit sehr guten, einfachen Ideen, die keine technische Innovation benötigen, um zu funktionieren."

Löwenjagd auf allen Medienkanälen

Eine Arbeit, die bei der Löwenjagd mitspielen darf, müsse "neue Standards setzen, eine einzigartige Idee haben, exzellent exekutiert sein und messbare Erfolge nachweisen können", sagt Dieter Pivrnec. Er ist Geschäftsführer Kreation bei Lowe GGK und enscheidet bei den Direct-Lions mit.

In seiner Kategorie gehe es schon lange nicht mehr nur um klassische Response-Mechanismen, sondern um jede messbare Reaktion. Pivrnec: "Direct-Kampagnen haben sich zu großen integrierten Kampagnen entwickelt, die sich aller Medienkanäle bedienen."

Direct sei für die Jurymitglieder eine der anstrengendsten Kategorien, weil die eingereichten Kampagnen meist sehr umfangreich sind und die Auseinandersetzung mit jeder einzelnen Arbeit sehr genau und intensiv sein müsse. Über eine private Social-Media-Plattform steht er mit den Jurykollegen seit einigen Wochen in Verbindung, erzählt Pivrnec. Dort könne man sich bereits im Vorfeld kennenlernen und die Juryziele diskutieren. Von der Zeit in Cannes erwartet er sich "wie jedes Jahr einen großen Energieschub für die Arbeit zu Hause".

Kleingeistigkeit verbannen

Wie man sich auf langen Jurytage im Festivalpalais vorbereiten kann, beschreibt Alfred Koblinger so: "Die uns Österreichern vererbte Kleingeistigkeit aus allen Gehirnwindungen verbannen und sich frei machen von den täglichen Belastungen. Und physisch eventuell eine Stunde früher aufstehen und die Croisette rauf und runter laufen." Was er nicht versäumen will: "Die Award Show, bei der wir hoffentlich wieder einmal einen Löwen gewinnen." (Astrid Ebenführer, derStandard.at, 12.6.2012)