Rom - Für den französischen Regisseur Laurent Herbiet, der demnächst mit den Dreharbeiten zu einem politischen Vatikan-Thriller beginnt, ist es eine traumhafte Steilvorlage: Als die Polizei am Dienstag im Morgengrauen die Wohnung des Bankers Ettore Gotti Tedeschi durchstöberte, stießen die Beamten auf ein Konvolut, dessen handschriftlicher Vermerk ihre Aufmerksamkeit erregte: "Falls mir etwas zustößt, soll dieses Memorandum meinem Anwalt, dem Corriere-Journalisten Massimo Franco, und Papst-Sekretär Georg Gänswein übergeben werden."

Die Hausdurchsuchung hatte mit Tedeschis Tätigkeit als Banker Gottes nichts zu tun. Die Polizei suchte Unterlagen über einen Korruptionsfall im staatlichen Rüstungskonzern Finmeccanica, dessen Chef ein enger Freund des Ex-Vatikanbank-Chefs ist. Doch das 200 Seiten starke Dossier nahmen die Ermittler mit.

Hinter den vatikanischen Mauern beginnt nun das Zittern. Nach Indiskretionen enthüllt das Memorandum detailliert die Intrigen des Kardinalstaatssekretärs Tarcisio Bertone gegen Gotti Tedeschi und dessen Versuche, die in zahllose Skandale verwickelte Bank transparenter zu gestalten. Vor allem Generaldirektor Paolo Cipriani - ein enger Vertrauter Bertones - habe seine Arbeit systematisch behindert und alle Fragen nach den Inhabern verschlüsselter Konten unbeantwortet gelassen. Es könne sich um Mafiagelder handeln, mutmaßt Gotti Tedeschi.

Auch die Rolle mehrerer Kardinäle soll in dem Dokument beleuchtet werden. Dass der fromme Banker mittlerweile um sein Leben bangt, bezeugen mehrere Telefonmitschnitte und die Tatsache, dass er letzthin private Leibwächter anheuerte. Die Ermittler wollen ihn nun unter Polizeischutz stellen.

Der dem Opus Dei nahestehende Präsident der Vatikanbank IOR war vor zwei Wochen mit einem eiskalten Kommuniqué gefeuert worden - eine für den Kirchenstaat ungewohnte Vorgangsweise. Für den Vatikanexperten Andrea Tornielli stellt die Entlassung ein "eklatantes Eigentor" dar.

Die Entscheidung sei zudem angesichts der Vatileaks-Affäre zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt erfolgt: "ein mediales Desaster". Man habe den Banker "moralisch und beruflich erledigt".

Wie alle italienischen Ermittlungsakten dürfte Gottis brisantes Dossier schon bald den Weg in die Medien finden. Damit rückt die IOR, die Gotti Tedeschi endlich in ruhiges Fahrwasser führen sollte, erneut in die Schlagzeilen.

Zwei römische Staatsanwälte haben dem "Institut für religiöse Werke" gerade eher unreligiöse Geschäfte unterstellt: Geldwäsche in 15 Fällen. Angesichts der Affären tritt der Vatikan nun bei der längst erwarteten Einigung mit den Piusbrüdern auf die Bremse. Offenbar will man sich derzeit neue Polemiken ersparen. (Gerhard Murmelter, DER STANDARD Printausgabe, 9.6.2012)