Peter McDonald: "Die SVA kann nur besser auf die Wünsche der Versicherten eingehen, wenn das enge gesetzliche Korsett gelockert wird."

Foto: SVA

In Österreich zeichnet sich eine kleine Revolution ab. Erstmals sollen Versicherte über das Gebaren ihrer Sozialversicherung befragt werden. derStandard.at versuchte im Gespräch mit Peter McDonald, stellvertretender Obmann der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft (SVA), auszuloten, wie ernst es der Versicherung mit der plötzlich entdeckten Begeisterung für die Patientenmitsprache ist. Im Gespräch mit derStandard.at fordert er außerdem eine Gesetzesänderung. Sie soll ermöglichen, dass die SVA "in begründeten Fällen" auf ihre Forderungen in Form von Vergleichen verzichten kann. "Wir könnten so Konkurse verhindern und Arbeitsplätze erhalten. Das wäre sowohl volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich zielführend", so McDonald.

derStandard.at: Eigentlich ist das eine kleine Revolution für Österreich. Eine Krankenkassa fragt ihre Mitglieder, wie es weitergehen soll. Warum wollen Sie jetzt plötzlich nach all den Jahren die Beitragszahler befragen?

McDonald: Wir befinden uns in einem System, in dem die Selbstverwalter, also die Versichertenvertreter, über die strategische Ausrichtung der Sozialversicherung befinden. Für uns war es aber logisch, dass wir unseren Mitgliedern die Grundsatzfragen stellen, um Weichenstellungen für die Zukunft zu erhalten. Jeder Versicherte soll mitgestalten können. Die Befragung soll uns aber auch eine demokratische Legitimation geben, die uns Rückenwind bei den Verhandlungen mit dem Gesetzgeber verschaffen soll. Als unternehmerische Sozialversicherung haben wir den Anspruch, dass auch wir uns unternehmerisch verhalten. Wir sind auf dem Weg von einer Behörde zu einer kundenorientierten Versicherung.

derStandard.at: Ist die Gesetzesgrundlage zu eng für die Sozialversicherung?

McDonald: Wir merken immer mehr, dass uns in einzelnen Fällen die Hände gebunden sind, in denen wir zwar helfen wollen, aber nicht können. Die SVA kann nur besser auf die Wünsche der Versicherten eingehen, wenn das enge gesetzliche Korsett gelockert wird.

derStandard.at: Wo wollen Sie helfen, können es aber nicht?

McDonald: Zum Beispiel beim Wochengeld. Hier müssen wir weniger auszahlen, als das bei den Unselbstständigen der Fall ist. Im Schnitt erhält eine unselbstständige Mutter rund 40 Euro Wochengeld pro Tag, eine Selbstständige rund 25 Euro. Das Wochengeld wird vom Familienlastenausgleichsfonds ausbezahlt, hier sind uns die Hände gebunden. Auch beim Krankengeld haben wir keine Möglichkeit, mehr zu unterstützen. Wir befinden uns diesbezüglich in Gesprächen mit dem Gesundheits- und dem Sozialminister.

derStandard.at: Nicht wenige SVA-Versicherte haben Zahlungsschwierigkeiten. Sind Ihnen da auch die Hände gebunden?

McDonald: Im Vergleich zum Finanzamt haben wir geringe Möglichkeiten zu unterstützen. Wir können den Beitrag zwar stunden und heruntersetzen. Aber das Finanzamt hat etwa auch die Möglichkeit, in begründeten Fällen Vereinbarungen zu treffen. Es wäre auch für uns sinnvoll, wenn wir in begründeten Fällen auf Beiträge in Form von Vergleichen verzichten könnten. Wir könnten so Konkurse verhindern, das wäre sowohl volkswirtschaftlich als auch betriebswirtschaftlich zielführend. Arbeitsplätze könnten so erhalten bleiben. Derzeit müssen wir per Gesetz alle ausstehenden Forderungen eintreiben.

derStandard.at: Im letzten Jahr gab es Proteste gegen die SVA. Sie treibe Selbstständige in die Schuldenfalle, war damals der Vorwurf. Sie sagen, der Gesetzgeber lasse Ihnen keine andere Möglichkeit?

McDonald: Ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass die SVA Menschen in die Schuldenfalle treiben würde. Die SVA ist eine Gemeinschaft, die Versicherungsleistungen, Kranken- und Pensionsversorgung gewährleistet. Dafür gibt es eine Versicherungsprämie, die man für diese Leistung bezahlen muss. Klarerweise müssen wir dafür sorgen, dass diese Prämie bezahlt wird. Wir sind aber oft aufgrund des gesetzlichen Regelwerkes zu Handlungen gezwungen, die wir volks- und betriebswirtschaftlich anders setzen würden, wenn wir die Möglichkeit hätten. Dafür kämpfen wir.

derStandard.at: Ist die Urbefragung eine Reaktion auf die Proteste?

McDonald: Nein. Wir setzen uns bereits seit acht Jahren für eine bessere soziale Absicherung und Entlastung unserer Versicherten ein. Wir müssen dem Gesetzgeber klarer aufzeigen, wo Handlungsbedarf besteht, damit wir unsere Leistungen besser erfüllen können.

derStandard.at: Wollen Sie die Ergebnisse der Befragung dann eigentlich auch umsetzen oder wollen Sie nur ausloten, wie Ihre Versicherten denken?

McDonald: Ja, selbstverständlich wollen wir diese Ergebnisse dann auch umsetzen.

derStandard.at: Die Versicherten werden gefragt, ob die Selbstbehalte abgeschafft werden sollen, dafür soll es dann höhere Versicherungsbeiträge geben. Welche Argumente sollte man bei der Entscheidungsfindung abwägen?

McDonald: Wir wollen die Frage stellen, ob unsere Versicherten die Finanzen lieber ausschließlich über die laufenden Beiträge aufbringen oder ob sie es vorziehen, einen Teil davon über Selbstbehalte abzuwickeln. Das Beitragsaufkommen über Selbstbehalte liegt derzeit bei rund 50 Millionen Euro pro Jahr. Darauf könnten wir nicht so einfach verzichten. Soziale Verantwortung heißt neben Entlastung der Versicherungsgemeinschaft auch, dass wir die finanzielle Gebarung so stabil halten, dass wir auch die nächsten Generationen noch versorgen können.

derStandard.at: Wie hoch ist der Selbstbehalt durchschnittlich pro SVA-Versicherten?

McDonald: Ungefähr sind das rund 70 bis 100 Euro im Jahr.

derStandard.at: Niedrigverdiener und chronisch Kranke können vom Selbstbehalt befreit werden. Aber wie so oft trifft der Selbstbehalt die Mittelschicht besonders hart.

McDonald: Deshalb werden wir für die mittleren Einkommen eine Obergrenze für den Selbstbehalt einführen. Ab 2013 sollen sie höchstens mit fünf Prozent ihres Einkommens belastet werden. Dafür braucht es aber noch einen Generalversammlungsbeschluss.

derStandard.at: Wozu brauchen wir eigentlich so viele Sozialversicherungsträger: neun Gebietskrankenkassen, sechs Betriebskrankenkassen, dann die SVA, die Beamtenversicherung, die Versicherungsanstalt für Eisenbahn- und Bergbau und die Sozialversicherungsanstalt der Bauern?

McDonald: Es gibt eine Notwendigkeit für unterschiedliche Träger. Die Unselbstständigen können ihre Beiträge über den Dienstgeber abführen. Für die Selbstständigen muss ein eigenes System greifen, das die SVA aufgebaut hat. Wir können nicht alles in einen Topf werden, weil es unterschiedliche berufliche Situationen gibt. Die SVA ist wichtig, weil damit die spezifischen Bedürfnisse der Selbstständigen berücksichtigt werden können.

derStandard.at: Aber es ist unfair, dass sich die Leistungen unterscheiden. Da ist doch alles andere als demokratisch.

McDonald: Wir haben neun Landesärztekammern, was einiges verkompliziert.

derStandard.at: Sie sagen, Sie wollen präventiv arbeiten. Wir wissen aber, dass gerade auf den SVA-Versicherten ein großer Druck lastet, der auch durch Ihre unflexible Beitragsgestaltung entsteht. Auf eine schwankende Auftragslage bei Berechnung der SVA-Beiträge wird etwa keine Rücksicht genommen. Die Zahl der Burn-out-Patienten steigt.

McDonald: Burn-out muss man breiter betrachten. Das ist nicht nur ein berufliches Thema, sehr häufig spielt auch die private Komponente mit. Wir haben in der SVA Burn-out-Präventionscamps geschaffen. Dass der Druck in der Gesellschaft und Wirtschaft steigt, ist ein allgemeines Faktum. Da ist aber ein gesellschaftliches Problem, das nicht einzelne Systemteilnehmer verhindern können. Bei der Urbefragung wollen wir aber auch die Beitragsvorschreibung hinterfragen.

derStandard.at: Was halten Sie von der Idee, dass jeder Versicherte sich selbst aussucht, wo er sich versichert?

McDonald: Im Jahr 2000, als das Thema in Österreich groß diskutiert wurde, konnte ich dem Modell einiges abgewinnen. Mittlerweile ist dieses in Deutschland umgesetzt. Das System ist sehr unsozial, die Versicherungen keilen sich um die niedrigsten Risiken. Versicherte mit einem höheren Risiko haben es schwierig, eine leistbare soziale Absicherung zu bekommen. Das kann nicht der Weg Österreichs sein. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 8.6.2012)