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Spindelegger mit dem Gouverneur von Lagos, Babatunde Fashole.

APA-FOTO: PHOTONEWS.AT/GEORGES SCHNEIDER

Ein grauer Gebäudekomplex in der schlammigen Acma Road in Lagos, Nigeria: Vergilbte Werbefotos aus den 1970er-Jahren empfangen die Gäste. In der Fabrikshalle rattern lochkartengesteuerte Maschinen. Ein paar Arbeiter und ein halbes Dutzend Näherinnen schieben ihre Schicht. Vor einigen Jahren arbeiteten hier 400 Menschen, heute sind es noch 60. Die besten Tage der Supreme Lace Limited sind vorbei. Aber: Es gibt sie noch, als einziges von einst fünf österreichischen Unternehmen, die Stickereien und Spitzen im nigerianischen Markt produzierten.

Seit 1976 ist die Vorarlberger Firma im Land. Rudi Böschs Vater machte das Werk auf, um im spitzenverrückten Nigeria zu reüssieren. Er selbst kam 1979 nach und führt Supreme Lace bis heute. Die Aussichten waren zwischendurch finster, aber seit in China die Löhne steigen, wird er wieder konkurrenzfähig. Es könnte wieder besser laufen, wären da nicht die nigerianischen Behörden. Sie erschweren Einfuhren und schlagen ihm vor, doch selbst Baumwolle im Norden anzubauen. Er antwortet mit einem Vergleich: "Um Löffel zu produzieren, muss man ja auch nicht unbedingt ein Erzbergwerk betreiben."

Das ist Nigeria. Das Land hat enormes Wirtschaftspotenzial, die Hindernisse, es zu nützen, sind aber mindestens so groß. 2011 wuchs Nigerias Wirtschaft um 7,4 Prozent, das ist Rang drei weltweit. Wachstumstreiber war das Öl und dessen hoher Preis. Allein dadurch hat sich das Exportvolumen nach Österreich im Vergleich zum Vorjahr auf 777 Millionen Euro mehr als verdoppelt. "Wir haben ein Handelsbilanzdefizit, das sich gewaschen hat", sagt Vizekanzler Michael Spindelegger, der derzeit mit einer kleinen Wirtschaftsdelegation durch das westafrikanische Land tourt. "Wir beziehen Öl und liefern nichts."

Nichts, das ist etwas untertrieben. Aber mehr als die 105 Millionen Euro im Export (Maschinen, Spitzen und Energydinks) waren es schon einmal. " Nigeria ist ein schwieriger Markt. Man muss die österreichischen Unternehmen oft erst überzeugen, dass es hier ein gutes Geschäft gibt", sagt Nella Hengstler, die Wirtschaftsdelegierte in Lagos. Chinesen und Inder verdienten derzeit gutes Geld, die Europäer seien dabei, den Zug zu versäumen.

Veraltete Infrastruktur

Auf Hengstlers Terrasse schaut Mike Corns auf die Lagune von Lagos. Er stammt aus Manchester und hat die halbe Welt gesehen. "Nigeria", sagt er, "ist mit weitem Abstand, das verrückteste Land, in dem ich je gelebt habe." Außer der endemischen Korruption funktioniere praktisch nichts hier. Die Infrastruktur stamme noch aus britischen Kolonialzeiten vor 1960. Wer verlässlich Strom haben wolle, müsse für sich selber sorgen. Das ist Corns Business. Er verkauft auch österreichische Gasturbinen, mit denen sich Unternehmen von staatlichen Versorgern unabhängig machen.

Der Verdienst sei hervorragend, sagt Corns und nippt an seinem Bier. Aber dafür müsse man einiges in Kauf nehmen. Er schlafe in seiner Wohnung mit einer Pumpgun unter dem Bett, die Fenster seien mit Stahlgittern gesichert, und wer in sein Schlafzimmer gelangen wolle, der müsse durch drei Stahltüren durchkommen. Selbst in seinem eigenen Unternehmen könne er kaum jemandem trauen.

Steuern werden verhandelt

Die allgemeine Sicherheitslage deckt sich mit jener der Rechtssicherheit. Steuern etwa werden nicht nach Tarif gezahlt, sondern nach Verhandlungsgeschick. "Wir haben alle drei Jahre eine Prüfung. Bei der kommt immer eine hohe Nachzahlung heraus, und dann muss man sich mit den Prüfern eben einigen", erzählt Peter Hallbauer vom Spitalsausrüster Vamed, der in Nigeria seit Jahren Krankenhäuser auf höheren technischen Standard bringt. Ob und wie viel von dem Steuergeld dann tatsächlich beim Staat ankommt, weiß niemand so genau. Babatunde Fashola macht jedenfalls den Eindruck, als wäre er zum ersten Mal nach Korruption gefragt worden. Dabei gilt der Gouverneur des Bundesstaates Lagos gemeinsam mit dem nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan als einer der wenigen, die tatsächlich etwas zum Positiven wenden wollen in dem Land.

"Ach wissen Sie", sagt er, "die Finanzkrise ist entstanden, weil sich viele in den USA und Europa nicht an die Regeln gehalten haben. Nur Nigeria wegen Korruption zu kritisieren ist nicht richtig." Klarer kann er nicht werden, meinen Beobachter. Denn wer zu sehr in dieses Milliardenspiel eingreife, riskiere nicht nur sein Amt. (Christoph Prantner aus Lagos, DER STANDARD, 08.06.2012)