Grafik: DER STANDARD

Wenige Wochen nach den Präsidentenwahlen findet am Sonntag in Frankreich der erste Durchgang der Parlamentswahlen statt, eine Woche später die Entscheidungsrunde. 577 Sitze sind für fünf Jahre zu besetzen. Laut Umfragen liegen die beiden großen Parteien, der Parti Socialiste (PS) und die bürgerliche Union für eine Volksbewegung (UMP), im ersten Wahlgang nahezu gleichauf bei jeweils knapp über 30 Prozent.

Über die endgültige Sitzverteilung sagt dies aber noch wenig aus: Wegen des Mehrheitswahlrechts kann es passieren, dass eine Partei mit landesweit kaum mehr als 30 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit an Parlamentssitzen erhält. Darauf setzen vor allem die Sozialisten.

Bisher haben die Franzosen einem neu gewählten Präsidenten noch immer eine Mehrheit mit auf den Weg gegeben. Damit kann er regieren und zumindest einige seiner Wahlversprechen in die Tat umsetzen. Die umstrittene Pensionsreform der Konservativen wurde bereits am Mittwoch zum Teil zurückgenommen: Die Pension mit 60 wird für diejenigen Arbeitnehmer wieder eingeführt, die schon ab dem Alter von 18 Jahren und über Jahrzehnte in die Kasse einbezahlt haben. Im Jahr 2013 sollen etwa 110.000 Bürger davon profitieren.

Hollande kann bei der Parlamentswahl nach Ansicht vieler Politologen mit einer "rosa" Mehrheit rechnen. Aber es könnte knapp werden. Falls die Rechte gewinnt, käme es zu einer "Cohabitation" zwischen dem linken Präsidenten und einer konservativen Parlamentsmehrheit. Das gab es bisher dreimal, immer war aber der Präsident unpopulär geworden: 1986 und 1993 François Mitterrand, 1997 Jacques Chirac.

Der große Unsicherheitsfaktor ist das Abschneiden des Front National (FN). Nach dem Erfolg von Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen mit fast 18 Prozent könnten die Rechtsextremen nun mit etwa 15 Prozent rechnen. Erforderlich für die Stichwahl sind 12,5 Prozent. In etwa 130 Wahlkreisen könnte es deshalb zu einem "Dreierrennen" zwischen PS, UMP und FN kommen. Das schmälert - arithmetisch gesehen - die Chancen der Bürgerlichen.

Und bisher war der FN stets der große Verlierer des Mehrheitswahlrechts. Diesmal hat die Tochter des FN-Gründers, Marine Le Pen, im industriellen Norden realere Siegeschancen, aber auch seine Enkelin Marion Le Pen in der Provence. (brä, DER STANDARD, 08.06.2012)