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Politik als Familienunternehmen: Marion Le Pen kandidiert, Großvater Jean-Marie Le Pen berät.

Foto: REUTERS/Jean-Paul Pelissier

Vor der Bar du Marché sitzen nordafrikanische Männer im Schatten der Platanen - bei der Bar des Glaces machen es sich hingegen die weißen Franzosen bequem. Sie alle verfolgen das laute Spektakel einer Hochzeit, bei der nicht nur die Braut einen Schleier trägt. Eine ältere Passantin lässt ihre beiden Pudel an einen Blumentrog pinkeln und murrt: "Es ist schmutzig hier, zu viele Araber."

Der Hotelwirt hatte schon bei der Ankunft gewarnt, Carpentras habe einen " üblen Ruf". Hier schändeten Neonazis 1990 den jüdischen Friedhof, den ältesten Frankreichs. Und hier erzielte die Präsidentschaftskandidatin des rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, im Mai mit fast 30 Prozent der Stimmen eines ihrer besten lokalen Resultate.

Carpentras, 30.000 Einwohner, am Rande des Weingebietes Côtes du Rhône gelegen, ist tief gesunken. Die lokale Landwirtschaft hält mit der Globalisierung nicht mehr Schritt. 13 Prozent Arbeitslose zählt das Department Vaucluse, mehr als der französische Schnitt. Auf den Melonenfeldern und in den Kirschbaumhainen dominieren Arbeiter aus Nordafrika, an den Wahlurnen die Rechten.

Die Dame mit den Pudeln weiß noch nicht so recht, wem sie am Sonntag die Stimme geben soll: Jean-Michel Ferrand, ein erfahrener 70-jähriger Politfuchs, der die Journalisten boykottiert, gehört zum rechten Flügel der konservativen UMP. Den Platzhirsch fordert eine Jusstudentin aus Paris heraus: Marion Maréchal-Le Pen, die 22-jährige Nichte von Marine Le Pen und Enkelin des Parteigründers Jean-Marie Le Pen. Sie hat gute Chancen, es in die Stichwahl am 17. Juni zu schaffen (siehe Interview).

Die Linkskandidaten sind hier nur Statisten. "Alle reden nur von Marion" , meint die Sozialistin Catherine Arkilovitch kopfschüttelnd. Ein Viertel der Erwerbstätigen, vor allem Frauen und Immigranten, verdienen weniger als 850 Euro, sagt die Psychologin und Arbeitsvermittlerin. "Die Nordafrikaner machen die Feldarbeit, die die Franzosen nicht ausüben wollen. Diese wählen trotzdem Front National, um die Ausländer aus dem Land zu werfen." Und Roger Martin von der Linksfront erzählt: "Ich kenne einige Winzer, die für Le Pen stimmen, in ihren Weinbergen aber ausschließlich Marokkaner beschäftigen."

Marion Le Pen beackert derweil den Wochenmarkt in Monteux, einem Vorort von Carpentras. Sie verteilt Flugblätter mit Forderungen wie "Stopp der Immigration", "Nulltoleranz für Delinquenten" oder "Ende der Straflosigkeit für die Schiebereien der Polit-Eliten". Sie selbst vermeidet solch böse Worte. Fast schüchtern tauscht sie Wangenküsschen mit Marktbesuchern aus, die ihre politische Gesinnung dadurch offen zum Ausdruck bringen. "Ich habe schon für Ihren Opa und Ihre Tante gestimmt" , erklärt eine Verkäuferin. Ein älterer Maghrebiner, dem Le Pen ein Flugblatt hinhält, lehnt dankend ab - eine chinesische Verkäuferin will hingegen unbedingt mit der Kandidatin aufs Bild.

Neue Generation

Beflissen schaut Marion Le Pen weg, als ein paar Studenten auftauchen und Anti-FN-Broschüren verteilen. Sie sind Vertreter der jüdischen Hochschulorganisation UEJF, extra aus Paris gekommen. Ihr Anführer Jonathan Hayoun erklärt, Marion Le Pen sei "die hübsche Fassade ihres greisen Großvaters": Der sei schon 20-mal wegen rassistischer, antisemitischer Äußerungen verurteilt worden; und der Schändung des Friedhofs in Carpentras habe er mit seinen Hasstiraden Vorschub geleistet.

Stunden später sind die Lepenisten bei einem Wahlkampfauftritt in der Nachbarstadt L'Ile-sur-la-Sorgue wieder unter sich. Marion poltert gegen den "Klientelismus derjenigen, die harte Worte, aber eine weiche Hand haben" und ruft: "Wir sind die neue Generation des Front National!"

Rassistische oder auch nur fremdenfeindliche Parolen hört man von ihr nicht. Dafür applaudiert die charmante Enkelin begeistert, als ihr Opa auf der Bühne gegen die Immigranten giftet, die "nicht ganz" Franzosen werden, selbst wenn sie die Staatsbürgerschaft erhalten; und auch, als der FN-Chef lästert, Marseille sei "keine europäische Stadt mehr".

Die Le Pens hingegen hält der Begründer der Politdynastie für "eine gute Rasse". Marion soll sie fortsetzen: im "Front Familial". (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 8.6.2012)