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Bei der dritten Nummer kratzt man sich erstmals hinter dem Ohr. Immerhin, denkt man sich, trinken die alten Säcke noch Dosenbier oder verheizen einen Ofen, haben also eine gute Zeit. Zumindest unter sich. Denn ganz ernst kann das nicht gemeint sein. Neil Young und Crazy Horse stampfen sich durch Tom Dula, besser bekannt als Tom Dooley. Servus Geschäft. Aber ehrlich, man hat sich schon zuvor am Ohr gekratzt. Denn Neil Young, dem man von einem Drink bis zur Niere alles spendieren würde, veröffentlicht mit "Americana" ein Album mit Coverversionen.

Schon der Titel klingt eher einfallsarm, gilt Young doch als eine der (weiter-)tragenden Säulen des Fachs, den könnte er auf die meisten seiner rund 40 Alben kleben. Aber dass er für "Americana" Songs wie "This Land is your Land" oder "God Save the Queen" (als eindeutig nicht amerikanisches Lied) auswählte, ließ Schlimmes befürchten. Eine Art Alterswerk mit ersten Zugeständnissen an das fröhliche Vergessen in den Außenbezirken des Gedächtnisses. Und: Es wäre nicht das erste Album von Neil Young, das man sich pflichtschuldig anschafft, um es dann ins Regal zu stellen, weit weg von Meisterwerken wie "Ragged Glory", "Eldorado", "On the Beach", "Time Fades Away", "Rust Never Sleeps", "Hawks & Doves", "Life", "Harvest", "Zuma", "Freedom", "American Stars'n Bars", "Re-ac-tor", "Weld" oder "Mirror Ball", dem einzigen Album, das die Existenz von Pearl Jam je gerechtfertigt hat. Aber: Irrtum.

"Americana" mag ein Exote im Gesamtwerk Neil Youngs sein, aber davon gibt es einige; und auf fast allen befinden sich ein, zwei Songs, die man als aufrechter Jünger des Alten als zumindest interessant befindet. Doch so kindergartentauglich hier manche Songs anmuten, ihre Umsetzung erstaunt, erinnert in manchen Momenten gar an seine Alben aus den frühen 1970er-Jahren oder gefallen in ihrer entwaffnenden Drolligkeit - allen voran "Get A Job", eine Interpretation eines Doo-Wop-Hits aus den 1950ern, der voller Shanana-Shanana-Shananas und Yip-Yip-Yips daherkommt. Kein Wunder, dass man Neil und die Jungs vom verrückten Gaul zwischen den Songs lachen hört. Wahrscheinlich sind sie am Studioboden gelegen und haben sich die Wohlstandsbäuche und die künstlichen Haarteile vor Lachen gehalten.

Aber selbst so eine Nummer besitzt im berühmt verhatschten Crazy-Horse-Soundkostüm seine Eigenständigkeit - und ist im Gesamtwerk Youngs schlüssig. Denn all diese Lieder behandeln - mehr oder weniger konkret - eine Zeit, in der Amerika für eine optimistische Utopie stand, für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die größer werdende Schere zwischen dem Sein und dem Schein thematisierte der heute 66-jährige Kanadier immer schon, nun also auch mittels fremder Lieder.

Darunter befindet sich eine großartige Interpretation von "Gotta Travel On", einem Folksong, den Billy Grammer in den 1950ern berühmt gemacht hat. Weniger nachhaltig hat ihn ein gewisser Rex Gildo eingedeutscht: "Der Sommer geht". Aber der Damenchor und der schnittige Country-Rock, den Young dafür bemüht, machen das Stück zu einem der besten hier. Ähnlich marschiert "This Land Is Your Land" über den nordamerikanischen Kontinent, seine Version des von Burl Ives populär gemachten Spirituals "Wayfarin' Stranger" lässt hingegen die Emotionalität vermissen, die dem Lied seine Magie verleiht. Ja, und am Schluss kommt dann "God Save The Queen" - nicht von den Sex Pistols, sondern tatsächlich die Hymne auf die Königin von England. Prost.

Man kann also davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt der Aschenbecher im Studio voll und die Bierdosen leer waren. Das ergibt ein etwas bescheuertes Ende, dem es dennoch nicht gelingt, die Reputation des restlichen Albums zu gefährden, dafür sorgt schon die scharfe Eröffnungsnummer "Oh Susanna" oder das famose "Clementine".  (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 8.6.2012)