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Der Experimentalphysiker Anton Zeilinger schätzt die Schönheit der Formeln.

Foto: APA / HERBERT PFARRHOFER

STANDARD: Sie sind wissenschaftlicher Berater der Documenta - und, wie es aussieht, der einzige Österreich-Teilnehmer.

Anton Zeilinger: Letzteres fände ich bedauerlich. Ich will hoffen, dass da noch andere sind. Ich habe gleich gesagt: Ich bin kein Künstler und will mich auch nicht als Künstler ausgeben.

STANDARD: Was sagen Sie als wissenschaftlicher Berater eigentlich zu den Aussagen von Documenta-Chefin Carolyn Christov-Bakargiev, in denen sie das Wahlrecht für Erdbeeren und Hunde fordert?

Zeilinger: Ich sehe diese Aussagen als künstlerische Statements, zu denen ich aus wissenschaftlicher Sicht nichts sagen sollte und auch nicht möchte. Nur ein Punkt: Wenn man Hunden das Wahlrecht gäbe, gewänne der Begriff "Anfüttern" eine ganz unmittelbare Bedeutung.

STANDARD: Wie kam es zu Ihrer Kooperation mit der Documenta?

Zeilinger: Frau Christov-Bakargiev hat mich gemeinsam mit ihrer Kokuratorin Chus Martinez, der früheren Chefkuratorin des Macba (Museu d' Art Contemporani in Barcelona, Anm.), besucht und gefragt, ob ich am Advisory Board mitwirken wolle. Und wieder einige Zeit später kam die Anfrage, ob es möglich sei, auf der Documenta einige Experimente zu zeigen. Ich habe den Kuratoren einige Vorschläge präsentiert. Aber es ist natürlich ein großer Aufwand - aber auch ein großer Spaß. Ich mache das ja ehrenamtlich, es gehört nicht zu meinem Job als Wissenschafter.

STANDARD: Verändert der Kunstkontext das Experiment?

Zeilinger: Ich kann mir vorstellen, dass Wissenschafter sagen werden, es sei Unfug, so etwas im Rahmen einer Kunstausstellung zu zeigen. Aber wenn sie sich die Mühe machen werden und die Experimente genau ansehen, werden sie sehen, dass wir bei einigen recht schlaue Tricks anwenden mussten, um sie in dieser Umgebung zeigen zu können.

STANDARD: Schwierig, weil außerhalb der idealen Laborsituation?

Zeilinger: Genau. Sie müssen sich vorstellen, wenn man einzelne Lichtteilchen detektiert, macht man das Experiment normalerweise im Stockfinsteren. Nun ist es mir mit meinen Mitarbeitern gelungen, es auch im Hellen zu realisieren.

STANDARD: Worum geht es in den fünf Experimenten, die Sie auf der Documenta zeigen? Und: Wird das Kunstpublikum das verstehen oder nur Ihre Physikerkollegen?

Zeilinger: Wir erläutern anfangs, was Quantenphysik ist, und stellen assoziative Fragen, etwa: Rolle des Betrachters? Welt als Information? Es geht, das möchte ich noch einmal betonen, um rein physikalische Aussagen. Diese fünf Experimente zeigen unterschiedliche Phänomene, die für das Fundament der Quantentheorie wichtig sind. Wir haben ganz bewusst alles so konzipiert, dass es den Besuchern selbst überlassen bleibt, welche Schlüsse sie ziehen. Wir sagen den Leuten nicht, was sie denken müssen. Bei den Modellen, die ich gemeinsam mit dreien meiner Dissertanten gebaut habe, ging es darum, dass wir das Ganze möglichst einfach gestalten.

STANDARD: Diese Experimente zeichnet nicht nur wissenschaftliche Präzision aus, sondern auch ihre Ästhetik.

Zeilinger: Das stimmt. Peter Weibel hat gemeint, alle diese Experimente könnten in seinen Augen genauso als Kunst gelten wie das, was offiziell als Kunst anerkannt ist. Da hat er, glaube ich, recht.

STANDARD: Ist der Unterschied nicht darin zu sehen, dass eine wissenschaftliche Formel - anders als Kunst - objektiv nachvollziehbar und überprüfbar sein muss?

Zeilinger: Das ist genau der Punkt. In der Wissenschaft kann wohl der Ausgangspunkt sehr subjektiv sein. Aber letztlich muss das experimentell Überprüfbare nachvollziehbar sein. Da kann man dann leicht beweisen, ob jemand einen Blödsinn redet oder nicht. Der Bezug zur Wirklichkeit ist da ganz wichtig. Philosophen sagen mir übrigens, dass das Wort "objektiv" heute nicht mehr verwendet wird, sondern dass man "intersubjektive Übereinstimmung" dazu sagt. Mir gefällt das nicht, ich finde "objektiv" das richtigere Wort. Dass ein Flugzeug nicht runterfällt, weil gewisse physikalische Gesetze stimmen, ist eine objektive Aussage über die Welt und nicht nur intersubjektive Übereinstimmung.

STANDARD: Man spricht von der Eleganz der Formel, wenn es ihr gelingt, einen komplexen Zusammenhang so einfach wie möglich darzustellen. Trifft sich in dieser Weltbeschreibung die Wissenschaft mit der Kunst?

Zeilinger: Das behaupte ich auch, obwohl mir manche Künstler widersprechen. In der Physik gilt eine Formel dann als schön, wenn sie mit möglichst wenigen Symbolen eine Fülle an Erscheinungen darstellt. Auch in der bildenden Kunst oder in der Musik gibt es die Fragestellung, wie man mit möglichst wenig Elementen etwas ausdrücken kann. Mozart beispielsweise war im Einsatz der melodischen Komponenten unglaublich sparsam und hat eine irrsinnige Fülle erreicht damit.

STANDARD: Was schätzen Sie an Kunst?

Zeilinger: Das, was ich auch an der Wissenschaft mag: dass ich Dinge anschaue und dabei etwas Neues entdecke. In der Kunst ist es ähnlich, wobei hier Rezeption und Anerkennung noch viel stärker von Modetrends abhängen. Ich bin froh, dass ich Wissenschafter bin und kein Künstler. Denn in der Wissenschaft gibt es den letzten Bezug auf die Wirklichkeit, da braucht man nicht drüber zu diskutieren. Das hat man in der Kunst nicht. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 6.6.2012)