"Wir müssen Gegenwärtiges erschaffen, um selbst wiederum Geschichte zu schreiben": Robert Glasper.

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Von Texas über die Genregrenzen.

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The Experiment (v. li.): Derrick Hodge (Bass), Chris Dave (Schlagzeug), Casey Benjamin (Sax, Gesang) und Robert Glasper.

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Das Art Babel in München ist nicht ausverkauft. Auf den ersten Blick erinnert die Veranstaltungshalle unweit des Münchner Hauptbahnhofs an einen Teppich- und Tapetenhändler. War es früher auch. Robert Glasper und Bassist Derrick Hodge müssen der Zeit auf Tour und den Klimaanlagen Tribut zollen. Sie sind verkühlt und bestellen zum Soundcheck Tee. Mit Rum. Das Art Babel schreit nicht unbedingt nach Jazz: Es gibt weder Sitzplätze noch Beistelltischchen, das Personal trägt T-Shirts statt Fliege und an der Bar gibt es Augustiner Bräu in der 0,33-l-Flasche. Auf die Bühne wird hier gleich einer treten, der die Jazzszene derzeit ähnlich aufmischt wie zuletzt Ornette Coleman Ende der Sechzigerjahre.

Robert Glasper sitzt auf einem Barhocker, die Wollmütze ins Gesicht gezogen. Er hat sich unter traditionellen Jazzfans mehr Feinde gemacht, als sein Piano Tasten hat. Auch deshalb gefällt es ihm in der kahlen Halle: "Ich versuche, in mehr Clubs wie diesem hier zu spielen: Hip-Hop-Clubs und Rock-Clubs fernab von der klassischen Jazz-Etikette. Die Atmosphäre ist einfach eine andere. Wenn da ein Bild von Duke Ellington hängt, ist die Stimmung anders, als wenn die Wand voll ist mit Graffitis. Ich bevorzuge Graffitis."

In der Jazzschublade staubt es schon länger. Die Todestage der Legenden und ihre Bilder an den Wänden begleiten die verbliebenen Jazz-Clubs in ihrem Kampf ums Überleben. Miles Davis, John Coltrane und Co. sind Geschichte und haben ihren Platz in der Schublade sicher. Die aktuelle Jazzszene tut sich da schwerer. Sie hat es sich in Nischen gemütlich gemacht. Die modernen Helden leben irgendwo zwischen Reminiszenzen an die Meister der Vergangenheit und dem eigenen Anspruch an die Musik. Die musikalischen Grenzen sind strikt gezogen.

Raus aus den gemachten Betten

Robert Glasper hat die Grenze nicht nur überschritten, er will sie neu ziehen. Den Gegenwind der Jazz-Puristen kontert der 34-jährige Texaner mit seinem aktuellen Album "Black Radio". Für Glasper ist es Staubwedel und Fehdehandschuh zugleich. Zusammen mit seiner Band "The Experiment" fusioniert er darauf Hip-Hop, Soul und R 'n' B und wagt sich sogar an eine Coverversion des Nirvana-Klassikers "Smells Like Teen Spirit". Kurt Cobain ist übrigens Geschichte.

"Jazz ist noch lange nicht tot, er verändert sich nur", sagt Glasper. "Aber wenn man die Musik auf ihre Geschichte reduziert, läuft sie Gefahr zu sterben." Der Kult um die Vergangenheit sei zwar berechtigt, sagt Glasper vor seinem Auftritt in München zu derStandard.at, er dürfe aber nicht als Ausrede für ein stures Festhalten an den gemachten Betten gelten.

Als Beispiel dient ihm ausgerechnet ein Blick in die Vergangenheit: "Als Charlie Parker und Dizzy Gillespie in den 1930er-Jahren ihre Musik spielten, war das Jazz. Später kamen andere wie Freddie Hubbard, John Coltrane oder Miles Davis, die ihrerseits zu verstehen gaben: 'Ja, das gefällt uns, aber wir möchten etwas Neues, etwas anderes kreieren.' Sie haben den Begriff, die Musik gedehnt und ausgeweitet."

"Ja, aber das ist uns egal"

Jazz sei immer ein Spiegel der gegenwärtigen Musikgesellschaft gewesen: "Sie spielten die Musik, die sie als gegenwärtig für angebracht hielten. Sie spielten keine Geschichte. Charlie Parker formte mit seiner Musik die Gegenwart. Miles Davis lebte nicht in der Vergangenheit, er produzierte die Gegenwart. Also warum sollten wir mit unserer Musik in der Vergangenheit leben? Wir müssen Gegenwärtiges erschaffen, um selbst wiederum Geschichte zu schreiben."

Dass ein Dogmenwechsel seine Hürden hat, ist Glasper bewusst: "Natürlich war es auch damals nicht leicht. Davis und die anderen sahen sich immer wieder mit Angriffen konfrontiert: 'Eure Musik ist nicht dasselbe wie Charlie Parkers und Dizzy Gillespies Jazz.' Ihre Antwort war einfach: 'Ja, das wissen wir, aber es ist uns egal. Wir machen es trotzdem.' Diese Attitüde braucht es auch heute."

Die texanische Wiege 

Houston, wo Glasper aufgewachsen ist, ist nicht gerade das Zentrum der Jazzwelt. Zwar gibt es in der texanischen Hauptstadt wie in vielen amerikanischen Metropolen eine aktive Jazzszene, die berühmten Töchter und Sohne sind aber rar gesät. Robert Glasper ging erst einmal in die Kirche. Seine Mutter, selbst Jazz- und Blues-Sängerin, brachte den Sohn früh hinters Klavier und neben den Gospelchor. Unter der Woche standen Skateboard, die Red Hot Chili Peppers und Rock auf dem Programm, am Wochenende Klavier, Mahalia Jackson und Gott.

"Ich war der einzige schwarze Bub in einer weißen Nachbarschaft", erinnert er sich. "Wir haben Skate-Rampen gebaut und Rock gehört. Mit Jazz und Gospel kam ich schon früh durch meine Mutter in Kontakt, und es hat mich immer fasziniert."

Wie der Vater, so der Sohn

Dann fand Robert Glasper den Hip-Hop. "In New York hat mich das Fieber gepackt", sagt er. "Zu dieser Zeit gab es an jeder Ecke Jam Sessions, die Clubs quollen über. The Roots spielten jede Woche in einer anderen Bar. Sie waren alle dort: Mos Def, Talib Kweli, Common. So bin ich in die Szene gewachsen."

Für Glasper ist Jazz der Vater des Hip-Hop. Beide Genres seien unmittelbar miteinander verstrickt und der Einfluss des Vaters auf den populären Sohn, besonders während dessen Kinderjahren, war prägend. Glasper sieht den Stilmix aber zwiespältig: "Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass viele Musiker mit einer Genremischung über die Möglichkeiten ihres Könnens hinausschießen. Eine Jazzband, die versucht, Hip-Hop zu spielen: schrecklich. Umgekehrt, also Hip-Hop-Bands, die sich an klassischem Jazz versuchen, ist es oft eine noch größere Katastrophe. Ich selbst sehe mich in beiden Kategorien."

Schubladen-Hopping

Mit "Black Radio" hat es der Texaner endgültig auf die Fahndungsliste der Jazzpolizei geschafft. Die Kategorisierung tut sich schwer: Der Begriff "Neo-Soul" fällt am häufigsten. Die Gäste sind ein Querschnitt durch die Soul-, R-'n'-B- und Hip-Hop-Szene: Erykah Badu, Yaasin Bey (Mos Def), Lupe Fiasco.

Die Jazz-Polizei schreit: "Aber das ist doch kein Jazz!" Robert Glasper entgegnet lächelnd: "Die Puristen sind deswegen auf den Barrikaden, weil sie mich und meine Musik nicht verstehen. Sie hätten mich gerne dort, wo sie mich einordnen können. Miles Davis hatte ein ähnliches Problem mit den Kritikern: Wenn er Songs von Cindy Lauper oder Michael Jackson spielte, hielten die Leute das nicht für Jazz."

Ausverkauf der neuen Ufer

Natürlich könnte er Bud Powell oder Oscar Peterson spielen, meint Glasper. "Aber ich spiele lieber Robert Glasper. Weil das für mich der ehrlichste Zugang zur Musik ist. Wenn es jemand nicht Jazz nennen möchte, ist mir das egal." Der Erfolg von "Black Radio" gibt dem Vater eines dreijährigen Sohnes recht. Das Album verkaufte sich in der ersten Woche 22.000 Mal und erklomm die Spitze der iTunes-Charts.

Die Jazz-Polizei schreit: "Sell-out!" Robert Glaspers Lächeln wird breiter: "Selling-out heißt für mich, wenn man als Künstler etwas macht, das einem nicht gefällt. Das ist auch ein Problem der Jazz-Szene. Sobald der Erfolg da ist, erntet man Neid und Gier. In manchen Augen muss man bankrott sein, um ein echter Jazz-Künstler zu sein."

Auch das sei ein Phänomen der heutigen Zeit: "Weder Miles Davis noch Herbie Hancock waren pleite. Die fuhren Lamborghinis. Thelonious Monk war an seinem Zenit weit entfernt von einem leeren Bankkonto. Ich weiß nicht, woher dieser Anspruch rührt, dass man als Künstler unbedingt ums Überleben kämpfen muss. Ich selbst bin aber weit weg von einem Lamborghini."

Der verlorene Sohn

Vor ein paar Jahren war die Jazzgemeinde noch zufriedener mit Robert Glasper. Da hatte er 2005, gerade einmal 27-jährig, sein zweites Album "Canvas" auf dem renommierten Jazz-Label Blue Note veröffentlicht, wo vor ihm schon Legenden wie Herbie Hancock, Art Blakey und Miles Davis zu Hause waren. Zwei weitere Alben ließ das "Robert Glasper Trio" folgen, melodiös, stimmungsvoll und auf technisch hohem Niveau.

Auf dem vierten Album "In My Element" fanden sich die ersten Ausreißer, die Aufmerksamkeit außerhalb der Schublade erregten. Das Cover von Radioheads "Everything in it's right place" in Kombination mit Herbie Hancocks "Maiden Voyage" wusste auch Jazz-Neulinge zu überzeugen.

Mit einer Hommage an den verstorbenen Hip-Hop-Produzenten J Dilla warf das Trio endgültig das Netz in die Richtung einer neuen Zielgruppe aus. Nebenbei übernahm er die Leitung von Mos Defs Live Band und leistete Gastbeiträge zu Q-Tips "Renaissance Man" und Kanye Wests Grammy-Album "Late Registration". Mit "Black Radio" holt Robert Glasper das Netz ein. An Bord ist ein Publikum, das auf die Genrefrage pfeift.

Der bewegte Applaus

Glaspers Zwischenposition wird auch beim Auftritt in München spürbar. Die Jazz-Routiniers sorgen bei den Solo-Parts für den richtigen Applauseinsatz und die Jüngeren halten das Art Babel in Bewegung. "Ich bin einer der Einzigen, die Jazz einem breiteren, jüngeren Publikum näherbringen", sagt Robert Glasper. "Genau das liebe ich." (Andreas Hagenauer, derStandard.at, 6.6.2012)