Wien - Seit es vor 90 Jahren gelungen ist, tierisches Insulin zu isolieren und damit eine Injektionstherapie bei Diabetes zu ermöglichen, hat die Behandlung dieser Stoffwechselerkrankung große Fortschritte gemacht. Heute stehen den Patienten sowohl im Bereich der oralen Antidiabetika als auch in der Behandlung mit Insulin eine Reihe unterschiedlicher Präparaten und Konzepte zur Verfügung. Erfolge und Innovationen in der Diabetestherapie und Diabetologie wurden bei der Frühjahrstagung 2012 der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) unter dem Leitthema „Diabetestherapie 2012 zwischen Ideal und Wirklichkeit" vom 1.-2. Juni 2012 in Wien beleuchtet.

Hauptthemen waren Sicherheit und Effektivität der Diabetestherapie in Zusammenschau mit den Leitlinien der ÖDG. Aktuelle Themen wie Probiotika und Metabolomics mit Praxisbezug waren weitere Schwerpunkte. Die besonderen Herausforderungen durch „Mismatches" in der Diabetologie, wie die Behandlung von Patienten mit Migrationshintergrund oder Patienten mit Mehrfachbehinderungen, sowie geschlechtsspezifische und psychosoziale Aspekte in der Diabetesbehandlung wurden ebenso thematisiert. 

Neue Blutzucker-Grenzwerte

Der Anstieg von Übergewicht und Diabetes - oftmals einhergehend mit dem sogenannten metabolischen Syndrom - bringt in Folge auch einen Anstieg an Krebserkrankungen, koronarer Herzkrankheit, Demenz sowie einer daraus resultierenden reduzierten Lebensqualität und Lebenserwartung. Es gibt jedoch Fortschritte in Früherkennung und Therapie des Diabetes: So wurden etwa die Blutzucker-Grenzwerte zur Diagnose des Diabetes mellitus niedriger angesetzt als früher.

Auch für den Gestationsdiabetes bei Schwangeren wurden aufgrund aktueller Forschungsergebnisse neue Grenzwerte gesetzt. Neue Marker und Risiko-Scores, neue Techniken und Hilfsmittel, sowie verbesserte Medikamente, die das Risiko von Unterzuckerung und Gewichtszunahme umgehen können, stehen heute für Diagnose und Behandlung der Zuckerkrankheit zur Verfügung. Dabei ist die individuelle Therapiewahl mit Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und Komorbiditäten entscheidend.

Bessere Prognosen und weniger Langzeitfolgen sind das Resultat der langjährigen Forschungen. diabetische PatientInnen gekommen. Die Lebenserwartung der Diabetiker ist deutlich höher als noch vor zehn Jahren, gegenüber der Nicht-Diabetikern jedoch deutlich geringer.

Die Zahl von Infarktpatienten mit unerkanntem Diabetes ist nach wie vor sehr hoch. Insgesamt wird eine hohe Dunkelziffer von Menschen, die an Vorstufen des Diabetes oder manifestem Diabetes leiden, vermutet. Erklärtes Ziel der WHO bis zum Jahr 2025: Die Sterberate bei nichtübertragbaren Krankheiten wie Diabetes, Adipositas und Hypertonie um 25 Prozent senken.

Schwangere als Risikogruppe

„Es gibt also noch viel zu tun: Ein wichtiges Ziel ist die Früherkennung von Risikopatienten beziehungsweise die Prävention von Diabetes. Eine möglichst frühzeitige Therapie kann Komplikationen weiter senken. Eine wichtige Gruppe hierbei sind Schwangere", so Alexandra Kautzky-Willer, Internistin an der Universitätsklinik für Innere Medizin III, Klinische Abteilung für Endokrinologie & Stoffwechsel am AKH Wien.

Die Prävention eines Schwangerschaftsdiabetes kann Müttern einen Diabetes mellitus Typ 2 und koronare Herzkrankheit ersparen, aber auch die Kinder und somit die nächste Generation profitieren davon, denn Diabetes in der Schwangerschaft hat eine fetale Stoffwechselprogrammierung des Ungeborenen zur Folge, die das Risiko des Kindes für damit verbundene Erkrankungen in seinem weiteren Leben erhöht. Der österreichische Mutter-Kind-Pass sieht bereits seit kurzem eine Untersuchung auf Schwangerschaftsdiabetes bei allen Schwangeren zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche vor. Ein österreichweites Register zur Erfassung des Gestationsdiabetes ist bereits in Entwicklung.

Individualisierte Diabetes-Therapie

Bei der Frühjahrstagung wurden neue Therapien und neue Leitlinien kritisch gegenübergestellt. Heidemarie Abrahamian, Internistin im Otto-Wagner-Spital, und wissenschaftliche Leiterin der Frühjahrstagung 2012: „Die individualisierte Therapie rückt auch für diabetische Patienten in den Vordergrund. Das bedeutet, dass die realen Lebensbedingungen jedes Betroffenen in die Therapieentscheidungen einbezogen werden. Vermehrt Augenmerk wird besonderen Gruppen geschenkt, wie Patienten mit Migrationshintergrund und psychisch kranken Patienten mit Diabetes mellitus. Um eine akzeptable Therapieumsetzung zu erreichen sind besondere Betreuungsprogramme mit erhöhtem Aufwand erforderlich." (red, 5.6.2012)