Für den Papst war es eine willkommene Gelegenheit, von Palastintrigen und Vatileaks abzulenken: Auf dem Weltfamilientreffen in Mailand speiste er am Wochenende mit sieben kinderreichen Familien und rief eine Millionen Gläubige dazu auf, "die Liebe untereinander und allen zu gewähren und Konflikte mit Verständnis und Demut zu lösen".

Doch ein Misston aus Rom störte die Harmonie. Ein anonymer Absender versorgte "La Repubblica" mit neuen Geheimdokumenten, darunter zwei Briefen des Papst-Sekretärs Georg Gänswein, deren Inhalt "mit Rücksicht auf den Papst" unleserlich gemacht wurde. Der verhaftete Kammerdiener Paolo Gabriele sei nur ein "Sündenbock", teilte der Unbekannte mit, der wissen ließ, über "hunderte Dokumente" zu verfügen.

Die Aktion zielt vermutlich auf zwei der einflussreichsten Persönlichkeiten im Vatikan: den allmächtigen Staatssekretär Tarcisio Bertone und den 56-jährigen Papst-Sekretär Gänswein, der mit dem wachsenden Alter Ratzingers zunehmend an Einfluss gewinnt. Gänswein bestimmt weitgehend den Terminkalender des 85-Jährigen, entscheidet, wen Benedikt XVI. trifft und welche Unterlagen ihm vorgelegt werden - was vielen im Kirchenstaat ein Dorn im Auge ist.

Vatikansprecher Federico Lombardi reagierte gelassen. Er sei weder überrascht noch besorgt: "Wir erwarten nicht, dass die bisher publizierten Dokumente die letzten sein werden." Dass im Vatikan bald Ruhe einkehrt, ist in der Tat kaum zu erwarten. Der kühle Rauswurf von Vatikanbank-Chef Ettore Gotti-Tedeschi schlägt noch immer hohe Wellen.

Undurchsichtige Zahlungen

Die italienische Notenbank hat die Staatsanwaltschaft indessen über neue, undurchsichtige Transaktionen der Vatikanbank IOR informiert. Hohe Überweisungen auf Konten mehrerer Priester seien als Geldwäsche einzustufen. In wenigen Wochen muss eine Europaratskommission entscheiden, ob die IOR in die White List jener Banken aufgenommen wird, die sich an die internationalen Transparenzbestimmungen halten. (Gerhard Mumelter aus Rom, DER  STANDARD, 5.6.2012)