Innsbruck/Wien - Sogenannte chemische Austauschreaktionen gehören zu den wichtigsten Prozessen in der Organischen Chemie: Sie laufen in unserem Körper ab, etwa bei der Produktion von Adrenalin, sind in der Umwelt allgegenwärtig und werden für die Herstellung von Medikamenten eingesetzt. Was dabei mit den einzelnen Teilchen und Molekülen passiert, ist allerdings kaum erforscht. Tiroler Wissenschafter haben nun detailliert den Ablauf einer bestimmten Reaktion erforscht und in der Fachzeitschrift "Nature Chemistry" publiziert. "Passt die Geometrie, stimmt auch die Chemie", fasst Roland Wester von der Uni Innsbruck die Ergebnisse "sehr vereinfachend" zusammen.

Experiment

Die Wissenschafter vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik lassen in einer eigens entwickelten Apparatur im Vakuum einzelne negativ geladene Hydroxil-Ionen (ein Molekül aus einem Sauerstoffatom und einem Wasserstoffatom; OH) mit Iodmethan-Molekülen (CH3I) reagieren. Dabei entsteht Methanol (CH3OH) und ein negativ geladenes Jod-Atom.

In ihrem Experiment hängten die Wissenschafter dem OH-Molekül ein oder zwei Wasser-Moleküle (H2O) an oder ließen es ganz alleine, also ohne Wasser, reagieren. Wie Westers Dissertant Rico Otto herausfand, funktioniert diese Reaktion, so wie sie in den Lehrbüchern beschrieben ist, erst durch die Anwesenheit der Wassermoleküle: Dabei nähert sich das Ion dem CH3I-Molekül von einer Seite und das Jod-Atom fliegt nach der Umordnung des molekularen Komplexes in entgegengesetzter Richtung davon. Fehlt das Wasser hingegen, reagiert also ein wasserfreies OH- mit einem CH3I-Molekül, so entsteht zwar auch Methanol, "allerdings finden wir dann ganz andere Reaktionsmechanismen", so Otto, der mittlerweile an der University of California in San Diego (USA) arbeitet.

Hintergrund

In ihrer Apparatur können die Wissenschafter einzelne OH- oder OH-Wasser-Moleküle mit einzelnen CH3I-Molekülen zusammen stoßen lassen. "Wenn so ein Stoß reaktiv ist, d.h. wenn dabei ein Jod-Produkt entsteht, sehen wir dies, weil wir mit einem Imaging-Detektor selbst einzelne Jod-Ionen nachweisen können", sagte Wester. Dabei können sowohl Richtung als auch Geschwindigkeit der Ionen gemessen und festgestellt werden, ob die J-Ionen bevorzugt schnell oder langsam, vorwärts, seitwärts oder rückwärts gestreut werden und dem entsprechend unterschiedliche Reaktionsmechanismen ablaufen.

Die Wissenschafter wollen damit nicht nur zum verbesserten Verständnis dieser komplexen Abläufe im Grenzgebiet von Chemie und Physik beitragen. "Langfristig könnte dies auch effizientere industrielle Prozesse ermöglichen", so Wester, der 2011 mit einem "Starting Grant" des Europäischen Forschungsrats (ERC) ausgezeichnet wurde. (APA/red, derStandard.at, 9.6.2012)