Andcompany & Co.: "Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller".

Foto: Kunstenfestivaldesarts/Anne Vijverman/andcompany&Co.

Teatr Weimar: "Hamlet II: Exit Ghost".

Foto: Kunstenfestivaldesarts/© Teatr Weimar

Claude Régy: "Brume de dieu".

Foto: Kunstenfestivaldesarts/claude regy/© Brigitte Enguerand

Brett Baileys: "Exhibit B".

Foto: Kunstenfestivaldesarts/Exhibit B

Höhepunkt des soeben zu Ende gegangenen Kunstenfestivaldesarts in Brüssel (das, wie sein etwas unförmiger Name schon ausdrückt, die wallonische und die flämische Community gleichermaßen zu bedienen versucht) war zweifellos Brett Baileys ("Third World Bunfight") "Exhibit B". Diese Performance/Installation ist eine Weiterentwicklung des 2010 bei den Wiener Festwochen im Völkerkundemuseum gezeigten "Exhibit A".

Was die Brüsseler Fassung dieses Projekts, das sich an den im Europa des 19. Jahrhunderts so populären "Menschenzoos", Wanderausstellungen mit hauptsächlich schwarzafrikanischen "Wilden", orientierent, so besonders packend macht, ist zweierlei: erstens die eiskalte Atmosphäre der aufgelassenen neogotischen Gesu-Kirche aus ebendieser Zeit (1865), was ohne viele Worte und großen Aufwand den ganzen Themenkreis der Zwangsmissionierungen mitschwingen lässt. Und zweitens die geografische Nähe zu einem der bedeutendsten Afrikamuseen weltweit (in Tervuren), mittlerweile "reumütiger" letzter Zeuge von Belgiens Kolonialherrschaft vor allem im Kongo und dem dort verübten größten (aber weitgehend unbekannten) Genozid vor Auschwitz (fünf bis 13 Millionen Tote).

Insofern gefriert einem hier "im Herzen der Finsternis" das Blut vielleicht noch nachhaltiger in den Adern als an anderen Orten beim Anblick der "Ausstellungsstücke": einer "Negerin" im Baströckchen, die sich unter einem Glassturz im Kreis dreht, zweier Pygmäen zwischen ausgestopften Antilopen, Gazellen und Affen, einer mit dem nackten Rücken zum Publikum an ein Feldbett gefesselten Sklavin, deren Blick den Zuschauer nur mittels eines Spiegels, dafür aber umso heftiger ereilt, und eines zwischen Glasscherben und blankgeputzten Totenschädeln auf einem Thron gelangweilt dasitzenden Stammesfürsten.

Ergänzt wird der historische Rückblick mit "gegenwärtigen" Exponaten, das heißt wirklichen, echten, lebenden, in Belgien gestrandeten Asylwerbern. Was auf den ersten Blick sehr beeindruckend, auf den zweiten aber dann doch arg kurzschlüssig wirkt. Wie überhaupt manche "Exhibits" nicht ganz frei von kunstgewerblichen Arrangements sind und man sich nach einem halbstündigen Rundgang doch wünscht, dass nach all diesen "Vitrinen" die eigentliche "Show" endlich losgehen möge.

Highlights des Avantgardefestivals

An einer Station tut sie das auch. Unter Fotos von geköpften Kongolesen lugen aus drei weißen Podesten drei extra noch schwarz geschminkte "Mohrenköpfe" hervor, die sich in nahezu überirdischen Gesängen der Nama, Ortjiherero, Oshiwambo, Tswana und isiXhosa (inklusive der betörenden Klicklaute) ergehen.

Hier erhebt sich "Exhibit B" über die gute Absicht und die politische Korrektheit hinaus zu einer "künstlerischen", "poetischen", herzzerreißenden Mischung aus Tragik und Komik, Schönheit und Massenmord, die ihresgleichen sucht. Und hier hätte man gerne, dass "Exhibit C" anknüpfen und fortfahren würde.

Weitere Highlights des dreiwöchigen renommierten Avantgardefestivals (viel Tanz, viel Performatives, viele Audio-Rundgänge) waren neben einigen Wiener-Festwochen-Doubletten (Arpad Schilling, Kornel Mundruczo) der Hardcore-Minimalismus des 90-jährigen (!) Regie-Altmeisters Claude Regy ("Brume de Dieu"), eine in einem Fernsehstudio spielende Hamlet-Paraphrase für zwei Personen des schwedischen Teatr Weimar, die Dinosaurier-Tour der Gruppe Natural Mysteries, die neueste Feldforschung des wiedervereinten Rimini-Protokolls ("Lagos Business Angels") und Guy Cassiers (vom Berichterstatter leider nicht gesehene) Vollendung seiner "Mann ohne Eigenschaften"-Trilogie ("Das Verbrechen: Moosbrugger"). (Robert Quitta aus Brüssel, derStandard.at, 5.6.2012)