"Es ist wichtig, dass Fußball-Kommentare polarisieren. Alles andere ist langweilig. Es ist aber nicht so, dass es mich freut, wenn sich viele Leute aufregen."

Foto: Polzer

derStandard.at: Was macht einen guten Sportkommentator aus?

Oliver Polzer: Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich der Zuschauer am Kommentator auch reiben darf. Natürlich geht das in beide Richtungen, es gibt neben negativem auch viel positives Feedback. Nur, Leute, die zufrieden sind, setzen sich kaum hin und schreiben etwas in Foren.

Ich schätze den deutschen Sportkommentator Marcel Reiff persönlich sehr, habe auch schon mit ihm gearbeitet, und er sagt immer, dass es wichtig ist, dass Fußball-Kommentare polarisieren. Alles andere ist langweilig. Es ist aber nicht so, dass es mich freut, wenn sich viele aufregen. Wenn das so ist, dann gehe ich dem auf den Grund. Es zeigt mir, dass es den Leuten nicht wurscht ist, wer da redet und was geredet wird.

derStandard.at: Wie würden Sie Ihre Leistung im Spiel Österreich vs. Ukraine beurteilen? 

Polzer: Ich war nicht ganz zufrieden. Es ist jedoch nach dem Spiel immer schwer auszumachen, ob das Spiel selbst daran schuld gewesen ist oder mein Blick auf das Feld. Ich habe mich sehr auf das Spiel gefreut, aber dann waren, wie leider oft bei österreichischen Spielen, die Defensivaufgaben zwar gut erkennbar, aber ansonsten vor allem in der ersten Hälfte wenig herauszulesen.

Mich befiel ein schlechtes Gefühl, ich sprach nicht viel. Es war zwar ein wunderschöner Freistoßtreffer, aber ansonsten hat zumindest die erste Hälfte nicht viel hergegeben.

derStandard.at: Ihr teils trockener und manchmal auch zynischer Humor wird nicht von allen Fernsehzuschauern geschätzt. Nehmen Sie sich die Kritiken zu Herzen? 

Oliver Polzer: Im Normalfall ja, aber ich kann nicht alle Foren durchschauen. Ich schaue immer wieder mal rein und lese einiges, nehme all das ernst, was Inhalt und Hintergrund hat. Es gibt viele, die nur schimpfen, aber das interessiert mich nicht, dazu gibt es viel zu viele Menschen da draußen. Zu Herzen nimmt man sich leider fast alles, aber ich versuche, die reinen Schimpfereien auszublenden. Letztendlich kann man es doch nicht jedem Zuschauer recht machen.

Ich glaube, ein Fernsehkommentar muss Profil haben. Ich versuche, Stellung zu beziehen, was einzelne Situationen, aber auch das ganze Spiel betrifft. Andere Kommentare, bei denen das nicht der Fall ist, finde ich eher langweilig. Ich versuche, wenig darüber zu erzählen, was man ohnehin sieht. Ich versuche, die Dinge zusammenzufassen und zu analysieren.

derStandard.at: Wie würden Sie Ihren Humor beschreiben?

Polzer: Mir ist Humor grundsätzlich sehr wichtig. Ich mag, wenn man den Schmäh nicht gleich versteht, sondern ihn fertigdenken muss. Was ich nicht mag, ist der platte Schmäh. Ansonsten ist es situationsbedingt. Wenn eine Aktion was hergibt, dann muss man dementsprechend reagieren. Ich setze mich nicht hin und nehme mir vor, lustig zu sein. Zum einen, weil das meist in die Hose geht, zum anderen, weil ich das als Zuhörer selber nicht mag. 

Ich versuche immer, fair zu sein, das geht aber natürlich auch oft auf die Kosten des einen oder anderen. Fußball ist keine Kriegsberichterstattung, sondern Unterhaltung, und es darf lustig werden.

derStandard.at: Wird Kritik beim ORF gesammelt, setzt man sich damit auseinander und diskutiert darüber? 

Polzer: Beim Kundendienst läuft alles zusammen, und was Inhalt und Profil hat, wird an uns weitergeleitet. Und natürlich wird mit den jeweiligen Abteilungsleitern darüber gesprochen, gar keine Frage.

derStandard.at: Verfolgen Sie die Foren- und Postingszene, zum Beispiel bei derStandard.at?

Polzer: Ich schaue aktuell bei zwei Foren rein. Bei abseits.at und bei derStandard.at, weil ich die Taktikanalysen ganz hervorragend finde. Das lese ich sehr gerne. Und dann stolpert man natürlich auch in die Foren. Aber mir fehlt leider die Zeit, mir all die vielen Postings durchzulesen.

derStandard.at: Wie objektiv muss ein Kommentator sein?

Polzer: Auf nationaler Ebene hat Objektivität oberste Priorität, und die ist meiner Meinung nach kaum gefährdet, weil ich von jeglichem Fanatismus weit entfernt bin. Bei internationalen Spielen darf es sein, dass ich Österreicher bin. Ich darf österreichische Tore anders kommentieren als die der Gegner.

Aber am Ende des Tages muss ich auch sagen dürfen, dass es eventuell zu wenig war, anstatt zu sagen, was nicht alles unfair war. Wenn man ernst genommen werden will und nicht gerade bei "Heute" oder "Österreich" arbeitet, wo es wurscht ist, was man gerade schreibt, dann ist Objektivität ein ganz wichtiges Instrument. 

derStandard.at: Es wird Ihnen oftmals Rapid-Lastigkeit vorgeworfen. Sind Sie ein Fan der Grün-Weißen oder eines anderen Vereins?

Polzer: Wenn Österreich spielt, dann hoffe ich, dass sie gewinnen, ansonsten bin ich vereinslos, und daher ist es mir völlig egal, wer gewinnt. Ich habe es schon sehr oft erlebt, dass man als Kommentator auch schuld ist, wenn eine Mannschaft verliert. Ich bin schon Fan aller Mannschaften gewesen. Ich war schon Sturm-Fan, Rapid-Fan, Austria-Fan. Ich habe den Fehler gemacht zuzugeben, dass ich als Kind mit acht Jahren im Austria-Nachwuchs gespielt habe. Aber nur deshalb, weil ich mit der Straßenbahn leicht dorthin fahren konnte. Herbert Prohaska ärgert mich heute noch immer, dass ich mich endlich als Austria-Fan outen soll.

derStandard.at: Leser von derStandard.at werfen Ihnen vor, dass Sie Arnautovic bashen. Wie sehen Sie das?

Polzer: Arnautovic hat selbst gesagt, dass er mit seiner Leistung in der ersten Hälfte nicht zufrieden war. Auch Teamchef Koller hat überlegt, ob er ihn in der zweiten Halbzeit austauschen soll. Man muss als Kommentator eine dicke Haut haben, auch über sich lachen können. Sagen können, manches nehme ich zurück, weil es Blödsinn war. Es war gut, dass Arnautovic noch am Feld war, er hat zwei Tore geschossen, fertig. Ich sage aber trotzdem, dass es für eine WM-Qualifikation zu wenig war.

Man muss sich die Frage stellen, ob man zufrieden sein kann, wenn es zwar gelingt, Defensivaufgaben umzusetzen, aber nach vorne hin nichts geht außer einem schönen Freistoßtor und den zwei Aktionen, die Arnautovic verwertet hat. Die Zuschauer können aber auch argumentieren, dass der Polzer komplett spinnt, weil wir 3:2 gegen eine Mannschaft gewonnen haben, die bei der EM spielt.

derStandard.at: Im Gegensatz zum Bremen-Legionär wird Alaba stets in höchsten Tönen gelobt. Der Bayern-Spieler ist unbestritten der Lichtblick am ÖFB-Spielerhimmel. Aber wird das Getue um seine Person nicht schon auch ein bisschen übertrieben?

Polzer: Auch im Fall Alaba kann man es als Kommentator fast nicht richtig machen. Ich habe viel Kritik gehört, als Thomas König das Champions-League-Halbfinale der Bayern kommentiert hat und Alaba extrem hervorgehoben wurde. Mir war das auch ein bisschen zu viel. Ich habe wiederum Kritik gehört, dass ich Alaba beim Spiel in Innsbruck zu wenig gelobt hätte. Ich habe aber zwei-, dreimal gesagt, dass es wunderbar ist, was er macht. Und ich finde das auch großartig. 

derStandard.at: Wie erklären Sie sich den Hype um Alaba?

Polzer: Dieser extreme Hype um Alaba hat zumindest zwei Gründe. Einerseits freut sich der österreichische Fan, dass Alaba das Zeug dazu hat, ein wirklich ganz Großer wie Krankl oder Prohaska zu werden, sofern er das nicht schon ist. Andererseits waren bei den Spielen mit den Bayern wirklich viele tolle Sachen von ihm zu sehen. 

derStandard.at: Und Arnautovic?

Polzer: Arnautovic ist ein hervorragender Kicker, aber nach ganz oben fehlt ihm noch viel. Er hat das Spiel mehrmals arg eingebremst. Er wartet oft lange, will die Gegenspieler ordentlich veräppeln. Früher ist das öfter einmal gut gegangen, aber in der Partie gegen die Ukraine ist es immer schlecht ausgegangen, er hat die Kugel immer verloren.

derStandard.at: ORF-Fußballanalysen genießen nicht den besten Ruf. Der Vorwurf ist, dass sie zu oberflächlich sind, zu wenig ins Detail gehen. Warum geht man nicht ähnlich wie in Deutschland noch mehr in die Tiefe?

Polzer: Wir sprechen ein sehr breites Publikum an und sind bemüht, Programm für alle zu machen. Mein Anliegen ist auch, etwas mehr in die Tiefe zu gehen und nicht in der Pause oder nach dem Spiel sitzend die Themen runterzubeten. Besser ist es, sich zwei, drei Themen vorzunehmen und sich da anzuschauen, warum, wieso, weshalb.

Aber man darf nicht vergessen, wir machen das Programm nicht nur für die absoluten Fußballfreaks. Und diejenigen, die sich beschweren, wenn wir wieder einmal die Abseitsregel erklären, müssen auch auf die anderen Gebührenzahler Rücksicht nehmen. Da die richtige Balance zu finden ist nicht einfach.

derStandard.at: Man hat den Eindruck, dass man den Zusehern beim Skifahren mehr Sachverstand zutraut als bei Fußball. Trügt der Schein?

Polzer: Ich versuche auch im Fußball weiter zu gehen, hänge mich brutal in die Technik- und Taktikbücher rein, auch wenn es nicht allen gefällt. Beim Skifahren kommt dazu, dass wir einfach mehr Analytiker haben, die sehr nahe dran sind am Sport, und wir von uns behaupten, dass wir Skination Nummer eins sind. Außerdem wird sehr viel in die Übertragungen investiert, und beim Skifahren kommt als zusätzliches Thema noch die Materialfrage hinzu. (Thomas Hirner, derStandard.at, 5.6.2012)