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Bernd Riexinger und Katja Kipping (re.) müssen erst noch zueinanderfinden. Fraktions-Vizechefin Sahra Wagenknecht (Mi.) wird diesen Prozess genauestens verfolgen.

Foto: Reuters/Domanski

Göttingen/Berlin - Die deutsche Linke hat nach langer und quälender Debatte eine neue Führung. Am Wochenende wählten die Delegierten am Parteitag in Göttingen Katja Kipping (34) und Bernd Riexinger (56) zu neuen Parteichefs. Dietmar Bartsch vom ostdeutschen Reformflügel konnte sich nicht durchsetzen.

Es war ein bemerkenswerter Parteitag - nicht nur, weil zu dessen Beginn zehn Linke zur Kandidatur um die beiden Chefposten bereit waren. In Redebeiträgen wurde deutlich, wie tief die Spaltung zwischen den ostdeutschen und den westdeutschen Landesverbänden ist. Während die "Ossis" in der Mehrzahl einen pragmatischen Kurs fahren und auch mit den Sozialdemokraten gemeinsam regieren wollen, pochen die "Wessis" auf einen harten Oppositionskurs.

Höhepunkt des Showdowns: Am Samstag sprechen hintereinander Ex-Parteichef Oskar Lafontaine und Fraktionschef Gregor Gysi. Von Einigkeit ist nicht viel zu spüren, die beiden einstigen Weggefährten gehen sich frontal an, ohne einander beim Namen zu nennen.

Gysi, der ansonsten so brillante Rhetoriker, liest seine Rede vom Blatt ab. Er kritisiert die radikalen Kräfte aus dem Westen, die sich immer wieder gegen den Reformkurs im Osten stellten. Dies erinnere ihn "an die Arroganz der alten Bundesländer bei der Wiedervereinigung".

In der Fraktion herrsche zwischen den Lagern "Hass", das sei ein "pathologischer Zustand". Und dann betont er in seltener Offenheit: "Entweder gibt es hier eine kooperative Führung, oder eine faire Trennung wäre besser."

Lafontaine hingegen spricht frei und redet sich immer mehr in Rage. "Es gibt keinen Grund, das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen", sagt er Richtung Gysi. All die Konflikte sind für ihn nicht so schlimm, sondern "Verleumdungen der Medien, dummes Gerede".

Kurz vor dem ersten Wahlgang folgt die erste Überraschung. Katharina Schwabedissen aus Nordrhein-Westfalen zieht ihre Kandidatur zurück. Eigentlich hätte sie mit Kipping im Doppel antreten wollen, diese hatte tags zuvor noch erklärt, sie stehe nur mit Schwabedissen zur Verfügung.

67 Prozent für Kipping

Mit 67 Prozent wird Kipping gewählt. Die 34-Jährige aus Sachsen ist zwar für Bündnisse mit anderen Parteien offen, wird aber keinem der beiden zerstrittenen Lager zugerechnet. Auch der zweite Wahlgang beginnt mit persönlichen Erklärungen: Fraktions-Vizechefin und Lafontaine-Partnerin Sahra Wagenknecht gibt bekannt, dass sie nicht kandidieren werde, weil sie "die Polarisierung nicht auf die Spitze treiben" wolle.

Aber Reformer Bartsch tritt an - und auch Bernd Riexinger aus Baden-Württemberg. Er ist ein Vertrauter von Lafontaine und soll ganz offensichtlich einen Sieg von Bartsch verhindern. Die Rechnung geht auf: Riexinger bekommt 53 Prozent, Bartsch 45.

Lafontaine und sein linkes Lager sind daraufhin so in Euphorie, dass sie die "Internationale" anstimmen. Verlierer Bartsch ist dennoch einer der Ersten, die Riexinger gratulieren. Der zieht sich nach Übergabe des obligatorischen Blumenstraußes mit Kipping zurück, wofür diese um Verständnis bittet: "Wir müssen uns erst einmal besser kennenlernen." (Birgit Baumann, DER STANDARD, 4.6.2012)