Nikolic kündigte an, sich nicht vor den muslimischen Opfern zu verbeugen.

 

Kaum zwei Wochen sind vergangen, dass Tomislav Nikolic zum neuen Präsidenten Serbiens gewählt worden ist, da löst er schon heftige Empörung in der Region aus. "In Srebrenica gab es keinen Genozid", sagte Nikolic vergangenen Freitag, einen Tag nach seiner Angelobung, gegenüber dem montenegrinischen Staatsfernsehen. Dort sei ein "großes Verbrechen" geschehen, das einzelne Mitglieder des serbischen Volkes begangen hätten, die dafür bestraft werden müssten. Er selbst werde sich aber "wahrscheinlich nicht" vor den muslimischen Opfern in Srebrenica verbeugen, denn sein Vorgänger Boris Tadic hätte das schon getan, das serbische Parlament habe das Verbrechen verurteilt, und so sehe er keinen Sinn, dieses Thema "ständig aufzuheizen".

Das bosniakische Mitglied des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegovina, Bakir Izetbegovic, sagte, die Aussage stelle Nikolic' proeuropäische Rhetorik infrage und zeige, dass er noch nicht bereit sei, sich mit der Kriegsvergangenheit zu konfrontieren. Izetbegovic erinnerte daran, dass der Internationale Gerichtshof IGH das Massaker in Srebrenica vor fünf Jahren als "Genozid" bewertet hatte. Eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton verwies ebenfalls auf das Urteil des IGH. Man werde die Aussage von Nikolic "abklären", sagte sie. Im Juli 1995 wurden rund um Srebrenica circa 8000 bosnische Muslime von bosnisch-serbischen Streitkräften systematisch getötet.

Debatte um Vukovar

Noch vor seiner Angelobung hatte Nikolic Entrüstung und Proteste auch in Kroatien ausgelöst, weil er in in einem Interview für die FAZ gesagt hatte, dass Vukovar eine "serbische Stadt war" und Kroaten keinen Grund hätten, "dort zurückzukehren". Der Krieg in Vukovar ist in Kroatien ein besonders empfindliches Thema, weil die Stadt 1991 monatelang von den von Belgrad kontrollierten jugoslawischen Streitkräften und serbischen Freischärlertruppen umlagert, beschossen, völlig zerstört, letztendlich erobert worden war. Heute ist Vukovar ein Symbol des kroatischen Widerstands und der Unabhängigkeit des Landes. Nikolic' Aussage sei nicht "im Sinne der Versöhnungspolitik" und führe in die Politik der 1990er-Jahre zurück, erklärte denn auch Kroatiens Präsident Ivo Josipovic. Kroatien müsse seine Beziehungen mit Serbien weiter entwickeln, er hoffe, Nikolic würde seine Auffassungen "revidieren". Nikolic dementierte heftig, jemals so etwas gesagt zu haben, doch die FAZ stellte kroatischen Medien die Aufnahme des Interviews zur Verfügung. Das Oberhaupt der Serbisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Irinej, reist indes in dieser Woche zu einem historischen Besuch nach Kroatien.  (Andrej Ivanji aus Belgrad /DER STANDARD, 4.6.2012)