In unschuldsweißem Tutu: die junge slowenische Choreografin Leja Jurisic in ihrem "Ballet of Revolt".

Foto: David Lotric

Wien - Tanz und Aufstand stehen in einem engen Verhältnis zueinander. Schon die berühmte, aus Litauen stammende Anarchistin Emma Goldman (1869-1940) wollte an keiner Revolution teilnehmen, in der man nicht tanzen darf. Und die junge slowenische Choreografin Leja Jurisic zeigte eben am Tanzquartier Wien, dass sie in Zeiten wie diesen an keinem Tanz teilnimmt, der nicht von einer Revolution sprechen darf.

Sie ist die Erste ihrer Tänzergeneration, die das Thema Revolte ganz explizit in eine Choreografie gießt, und sie tut das in einer für die späte Postmoderne unserer Tage provokant modernistischen Form. Ihr Ballet of Revolt beginnt mit einer Figur in unschuldsweißem Tutu und Hemd, die von George Antheils Musik zu Fernand Légers legendärem Film Ballet Mécanique über die Bühne gejagt wird. Wie eine mechanische Puppe hampelt sie zu den schrillen Tönen des amerikanischen Avantgardisten über eine aus Geldscheinen gelegte Karte von Europa.

Wütend schreit sie ihre Verachtung für alle heraus, die zu jedem Preis hinter Geld und Sicherheit her sind: "You workers don't care about what you do as long as you are paid!" Sie liest Mails und Nachrichten aus dem Internet - etwa: "Angela Merkel is riding the black bull" - und lacht spöttisch. Am Ende trägt sie ein goldglitzerndes Kleid und liest mit kindgerecht sanfter Stimme eine Märchen-Interpretation der Entführung von Europa durch Zeus in der Gestalt eines Stiers.

Formal macht Jurisics Ausbruch den Eindruck, als wäre er ein Kommentar zu Jan Fabres Orgy of Tolerance. Doch ihr Bezug auf das Ballet Mécanique , das 1924 bei der Internationalen Ausstellung für Theatertechnik in Wien erstmals gezeigt worden ist, und im Weiteren auf die politisch äußerst unkorrekte Futuristin Valentine de Saint-Point macht ein Fass auf, auf dem die zeitgenössische Choreografie bereits seit einiger Zeit tanzt: die Neuentdeckung der revolutionären Avantgarden des 20. Jahrhunderts.

Leja Jurisic, die bereits mit so renommierten Künstlern wie Janez Jansa und Meg Stuart zusammengearbeitet hat, verzichtet mit bisher so nur selten praktizierter Entschlossenheit auf postmoderne Differenzierungen im Tanz, trägt mit Julia Kristeva aber doch die Werkzeuge des Poststrukturalismus im Handgepäck.

Trotz ihrer reichlich unsicheren Dramaturgie hat diese Arbeit eine Intensität, die die wachsende Wut einer jungen Generation, deren Zukunft in den Börsencasinos des Finanzspekulantentums verzockt wird, überzeugend auf den Punkt bringt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 4.6.2012)