Vorbereitungen für die Weltrevolution, die auf sich warten lässt: Alexander Nikolic (li.) und seine Freunde musizieren und agitieren, was das Zeug hält.

Foto: Bardel

Wien - Es entbehrt nicht einer gewissen Morbidität, ausgerechnet von der erloschen geglaubten Stimme Jörg Haiders via Lautsprecher zum Genuss einer "Gastarbeiteroper" aufgefordert zu werden. Mit den Gastarbeitern teilt Haider das Schicksal des Verschwindens. Er fiel eines Nachts als Sonne vom Himmel Kärntens herunter. Die Lohnarbeiter aus Südeuropa sind anderweitig abhandengekommen: Sie haben sich assimiliert, viele von ihnen haben den faktischen Status von Arbeitssklaven überwunden.

Die Anliegen der Lohnarbeiter aus dem ehemaligen Jugoslawien hat Alexander Nikolic in seinem Festwochen-Projekt "New BOEMIAN GASTARBEITER OPERA" in die lose Form eines Oratoriums gebracht. Im Gemäuer des Wuk wird dem verwirrenden Umstand Rechnung getragen, dass man die Gastarbeiter als Sektion einer untergegangenen Klasse begreifen muss. Wer heute vom Proletariat redet, wird seiner Klassenanalyse einen anderen "Arbeiter" zugrunde legen müssen als ein erlösungsfrommer Marxist-Leninist von 1960 oder 1970.

Dementsprechend hat das Phänomen der Ausbeutung die Felder gewechselt. Das Los politischer Rechtlosigkeit ist keines, das den Proletarier an sich betrifft. Nikolic zitiert auf seinem Programmzettel den Philosophen Adorno. Wo für den Denker der negativen Dialektik das musikalische Werk immer schon als Klassen-Antagonismus strukturiert war, da ist für den Gastarbeiter, diese Gestalt aus den 1960/70ern, aktuell kein Platz. Seine Stelle hält das Prekariat besetzt. Politisch rechtlos sind jetzt jene Menschen, deren Bleiberecht in den Industrieländern von Abschiebung bedroht wird. Die zu Schwarzarbeit gezwungen werden, zum Verlust der Würde, zum Schritt in die Illegalität.

Im Zuge seiner Opernvorbereitungen hat der Künstler, Forscher und Aktivist Nikolic zwei Haider-Doubles ausfindig gemacht. Deren Goiserer Singsang im Ohr, betritt der frohgemute Festwochen-Gast den Vorraum des Wuk, wo eine zauberhafte serbische Diseuse aus dem Gastronomiefach ein Lied aus ihrer Heimat zum Besten gibt.

Von nun an regiert der Geist des Hüttenabends das ohrenbetäubende Geschehen. Nikolic springt wie ein Zeremonienmeister zwischen den Mitwirkenden herum: äußerlich ein Abbild von John Cale, als dieser Anfang der 1980er-Jahre in Wien wutgeladene Konzerte gab, ein brüllender Irrer hinter Sonnengläsern.

Im großen Saal des Wuk wird man Zeuge eines Zeltfestes ohne Zelt. Ein vielköpfiger Chor intoniert unter der Leitung wechselnder Einpeitscher Protestlieder, die der Tradition der Popkultur entsprungen sind. Aus "Tanz den Mussolini" zimmert ein Rapper den etwas wackeligen Vers "Tanz den Wladimir Putin". Ein "Lied an Österreich" enthält die trostlose Zeile: "Österreich, Österreich, du hast mich meine Jugend gekostet!"

Raum für "Subjektivierung"

Dazwischen bleibt für das bunte Knäuel Mitwirkender immer noch Zeit, Zigaretten zu rauchen oder hektoliterweise Bier aus "Sechzehner-Blechen" zu schlürfen. Eine Schneiderin aus Serbien, seit 1967 in Wien ansässig, bekennt sympathisch, für einen österreichischen Pass kein Geld ausgeben zu wollen. Ein ex-jugoslawischer Philosoph beschreibt die "Gastarbeiteroper" als "Raum der politischen Subjektivierung des Arbeiters". Auf einem Schirm poppen verfremdete Logos auf: "Don't happy, be worry!"

Diese fade Oper für Quetschkommode und Chaoten besitzt alle Vorzüge einer letzten Lockerung. Die Kinder der Gastarbeiter wären für die Weltrevolution bereit! Sie lässt sich bloß nicht blicken. Kann man nichts machen. Ja, und? (Ronald Pohl, DER STANDARD, 4.6.2012)