Elefanten können sich im Spiegel selbst erkennen und besitzen daher eine Form von Ich-Bewusstsein.

Foto: Filmladen Wien

Der Lebensraum der grauen Riesen wird zunehmend eingeschränkt, der Konflikt mit den Menschen um Land spitzt sich zu. Praktisch nirgendwo sind Elefanten nicht im Bestand gefährdet.

Sie besitzen das größte Gehirn, das, aller Wahrscheinlichkeit nach, jemals über die Erdoberfläche gewandelt ist, nur von den Walen in den Meeren übertroffen. Sie können sich im Spiegel selbst erkennen und besitzen daher eine Form von Ich-Bewusstsein, wie von Frans de Waal in originellen Versuchen mit unzerstörbaren Riesenspiegeln nachgewiesen wurde. Dabei malte er ihnen in einem Moment der fehlenden Aufmerksamkeit farbige Kreuze über die Augen und beobachtete, wie sie die Veränderung in ihrem Spiegelbild erkannten und tatsächlich die bemalte Stelle in ihrem eigenen Gesicht berührten.

Und sie trauern um tote Freunde und Familienangehörige, folgt man Cynthia Moss' Erzählungen aus 40-jährigen Beobachtungen im Rahmen des Amboseli Elephant Research Project in Kenia. Dabei betasten sie vorsichtig, ja zärtlich die Leiche - oder Jahre später die verblichenen Knochen - mit ihrem Rüssel und wiegen ihren Kopf, als würden sie sich an gemeinsame Erlebnisse erinnern.

"Salzbergbau"in Höhlen

Elefanten faszinieren aus gutem Grund. Ian Redmond verbrachte sechs Monate mit einer Elefantenherde im Mount-Elgon-Nationalpark in Afrika. Zu seinem größten Erstaunen ging, Rüssel an Schwanz, die gesamte Gruppe regelmäßig in die vollkommene Dunkelheit der Kitum-Höhle bis an deren tiefste Stelle. Während die Kinder dort spielten, machten sich die Erwachsenen mit ihren Stoßzähnen an den Höhlenwänden zu schaffen, brachen große Steinblöcke heraus und trugen diese bis vor den Höhleneingang, um sie in einem kleinen See zu versenken.

Es stellte sich heraus, dass das Gestein salzhaltig ist und dieser "Salzbergbau" der Elefanten somit zum Mineralhaushalt nicht nur der eigenen Gruppe, sondern auch vieler anderer Tiere der Umgebung beiträgt, die aus dem mit Salz angereicherten Seewasser trinken. Aus der Bohrgeschwindigkeit der Elefanten schloss Redmond, dass die Vorfahren dieser Tiere über die vergangenen 10.000 Jahre die gesamte Höhle selbst gegraben hatten, zumal in dieser Gegend natürliche Höhlen nicht bekannt sind!

Die Erwachsenen gaben dieses Verhalten an ihre Kinder weiter, die wiederum an ihre, und so soll sich diese "Salzbergbaukultur" in den Generationenfolgen dieser Elefantenherde derart lange erhalten haben. Andere Elefantenherden derselben Umgebung betreten nie eine Höhle. Redmond spricht daher von einer echten Kultur unter den Elefanten.

Proteste in Österreich

Es waren derartige Erkenntnisse in den 1990er-Jahren, die die Tierschutzbewegung in Österreich veranlasste, ab 1996 die Haltung und Dressur von Elefanten in Zirkussen unter die Lupe zu nehmen. Ein Dokumentarfilm des Vereins Gegen Tierfabriken seinerzeit, in dem nicht nur die stereotypen Schaukelbewegungen der angeketteten Tiere, sondern auch die regelmäßigen Schläge während des Trainings festgehalten waren, führte schließlich 2002 zu einer Vereinbarung der Länder für ein Verbot von Wildtierzirkussen, das mit dem Bundestierschutzgesetz 2005 bundesweit in Österreich in Kraft trat. Seither wurde dieses Verbot dreimal von Zirkusseite her gerichtlich angefochten.

Zuletzt urteilte der Verfassungsgerichtshof Anfang Dezember 2011, dass sich in der Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten ein derartiger Wertewandel vollzogen habe, dass ein Totalverbot der Haltung und Dressur von Elefanten im Zirkus berechtigt sei, obwohl es sich um eine alte Tradition in der Gesellschaft handelt, die lang nicht als ethisches Problem gesehen worden war. Damit wurde das Ende der anachronistischen Vorführung dieser Tiere als Clowns und "Akrobaten" zum Gaudium eines zahlenden Publikums für immer besiegelt.

Life Size Memories

Ein ähnlicher Wertewandel dürfte sich auch in Klaus Reisinger und Frédérique Lengaigne vollzogen haben, folgt man ihrem neuen Film Life Size Memories, der seit 25. Mai in den Kinos zu sehen ist.

Die beiden Regisseure waren eigentlich Kriegsfotografen, als sie im Jahr 1996 die Konflikte zwischen wilden Elefanten und Bauern in Burma dokumentierten. Ende der 1990er-Jahre filmten sie dann einige von Menschen gefangene und dressierte Elefanten, die zur Holzarbeit oder als Tempeltiere eingesetzt wurden. Das schien ihnen keine Ruhe gelassen zu haben, und so besuchten sie zehn Jahre später dieselben Tiere, um deren Biografie zu verfolgen. Daraus entstand ihr Film, der sich an den individuellen Schicksalen einzelner Elefanten orientiert.

Dabei spürt man förmlich, wie durch die Verschiebung der Rolle der Tiere von Repräsentanten ihrer Art und vom Symbol für die Mensch-Tier-Beziehung dieser Region hin zu individuellen Tieren mit einer Biografie, einem einzigartigen Charakter und einem persönlichen Anspruch auf Lebensqualität sich auch die Wahrnehmung der Regisseure verschob. Ist vom Standpunkt der betroffenen Tiere das autonome Leben in Freiheit nicht einer Unterwerfung unter die menschliche Kultur vorzuziehen?

Bitterer Nachgeschmack

In Burma werden die Elefanten in Fallen gefangen, in denen sich so manches Tier derart schwer verletzt, dass es lebenslang behindert bleibt. Anschließend wird den wilden Tieren in einer Prozedur der Wille gebrochen, die einen als Betrachter verzweifeln lässt. Die gefesselten Elefanten werden mit Speeren gestochen, angeschrien und geritten, bis sie völlig verzweifeln und sich unterwerfen. Anschließend müssen sie unter Schlägen den Rest ihres unter Umständen mehr als 80-jährigen Lebens umgesägte Baumstämme aus dem Urwald ziehen. Diese harte Sklavenarbeit müssen sie zwölf Stunden pro Tag leisten, dann werden ihnen die Beine gefesselt und sie "dürfen" die nächsten zwölf Stunden in den umliegenden Urwald humpeln, um dort zu essen und zu ruhen.

Manchmal aber schlägt ein Elefant zurück. Es heißt, Elefanten merken sich die Gesichter ihrer Peiniger auf Jahrzehnte. Unter Umstände trampeln sie ihre "Besitzer" tot oder wenden sich auf ihrer Flucht auch gegen Tierärzte, die sie sedieren und wieder einfangen wollen. Der Umgang mit derart kräftigen und intelligenten Tieren bleibt gefährlich, auch wenn sie in ihren Bewegungen und Gefühlsäußerungen so unendlich sanft wirken. Insbesondere während der Musth, wenn den männlichen Elefanten eine Flüssigkeit aus Drüsen an der Wange über das Gesicht fließt und sie in einen hormonellen Ausnahmezustand geraten, geht man ihnen lieber aus dem Weg, auch wenn man ihnen vorher nicht begegnet ist.

Elefanten als Kriegswaffe

In Südostasien wurden Elefanten als Kriegswaffe eingesetzt. Heute noch werden diese Ereignisse der Geschichte in kulturellen Zeremonien mit gefangenen Elefanten nachgespielt. In Life Size Memories kann man diese Rituale miterleben, die Tiere scheinen in die menschliche Gesellschaft integriert. Doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt, nicht zuletzt durch die Bilder von Elefanten, die in Tretminen ein Bein verloren haben. Die menschliche Gesellschaft scheint kein lebenswerter Platz für diese Tiere zu sein, da ändert auch der gutgemeinte Versuch nichts, die kriegsversehrten Elefanten mit Beinprothesen zu versorgen.

Nicht zuletzt deswegen machen sich die Regisseure auch auf die Suche nach freilebenden Elefantenpopulationen in Sri Lanka. Aber auch hier wird man mit der Realität konfrontiert, bleibt ein Happyend aus. Der Lebensraum der grauen Riesen wird zunehmend eingeschränkt, der Konflikt mit den Menschen um Land spitzt sich zu. Praktisch nirgendwo sind Elefanten nicht in ihrem Bestand gefährdet, nirgendwo gibt es ausreichend Platz, um ihnen ein ungestörtes Leben zu ermöglichen.

Der Film Life Size Memories moralisiert nicht. Er dokumentiert auch nicht das Schicksal der Elefanten nach objektiven Kriterien. Vielmehr lässt er die Elefanten selbst sprechen, zeigt ihre Situation, eingebettet in die Widersprüche realen Lebens, vom Standpunkt der Menschen ebenso wie von dem der betroffenen Tiere. Die Bildung einer eigenen Meinung wird einem nicht erspart. (Martin Balluch, Album, DER STANDARD, 2./3.6.2012)