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Nach der Blitzabschiebung fordert das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR eine Erklärung des österreichischen Innenministeriums.

Foto: AP/Miguel Villagran

Unrecht bleibt Unrecht, auch wenn eine Aktion blitzartig gesetzt wird - um zu verhindern, dass der Blick der Öffentlichkeit auf die Angelegenheit fällt. Damit wären wir bei einer neuen Ausprägung jenes Problems gelandet, bei dem Österreich derzeit wohl am engsten an der Missachtung von Menschenrechten entlang schrammt: Abschiebungen. Konkret bei der Außerlandesbringung des 26-jährigen Maliers Madu T..

Sie fand vor ein paar Tagen statt und richtet ein Schlaglicht auf die übersteigerte, mit Zügen von Willkür behaftete Vorgangsweise der zuständigen Behörden. Und auf ein neues Menschenrechtsdefizit, das dadurch entstanden ist.

Täglich bei Polizei melden

Madu T. dürfte klar gewesen sein, dass ihm mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die Außerlandesbringung bevorstand: 2009 im Asylverfahren abgewiesen und mit drei Vorstrafen wegen Drogen behaftet, befand er sich in Wien bereits im gelinderen Mittel: Seine Ausweisung war rechtskräftig, er musste sich täglich bei der Polizei melden.

Trotzdem bemühte sich sein Rechtsvertreter Tim Außerhuber um eine Duldung, also einen vorübergehenden Verbleib, für ihn: Mit gutem Recht und außerdem nicht unbegründet, weil der Malier seit 2004, also inzwischen acht Jahre, in Österreich lebte. Als er hierherkam, war er gerade 18.

Nur 30 Stunden

Trotzdem, mit einer Abschiebung hatte er zu rechnen. Aber musste diese wirklich in der Härte und Hast durchgeführt werden, in der sie dann über ihn hereinbrach? Dienstagmittag: Festnahme des jungen Mannes in seiner Unterkunft in der Wiener Nußdorferstraße. Ohne Ankündigung oder Vorwarnung - und somit Zeit für letzte Vorbereitungen.

Mittwochnachmittag bereits: Ankunft Madu T.'s am Flughafen von Bamako, Mali, nach einer Nacht in der Wiener Schubhaft, nach einem morgendlichen Flug nach Paris (natürlich polizeibegleitet) und dortigem Umsteigen: Eine Blitzabschiebung in nur 30 Stunden, nach acht Jahren in Österreich: Ist das menschlich akzeptabel? War das in dieser Eile nötig?

Von Menschenrechtsgepflogenheiten wegbewegt

Für die durchführende Behörde, die Wiener Fremdenpolizei, offenbar schon. Sie hat damit Fakten geschaffen: der unerwünschte Westafrikaner ist weg, zurück kommt er wohl niemals mehr. Außerdem: lästige Abschiebungsgegner hatten nicht einmal die Zeit, um Luft zu holen. Man musste sich ihre Einwände nicht anhören.

Doch das war ein Fehler. Die Kritiker hatten Gewichtiges einzuwenden. Abgesehen von den Härten für Madu T., dem zugemutet wird, sich von jetzt auf gleich im fernen Mali durchzuschlagen, wo er eigenen Angaben zufolge keinen Kontakt zu Verwandten mehr hat: Das österreichische Fremdenwesen hat sich in diesem Fall ein Stück vom Respekt internationaler Menschenrechtsgepflogenheiten wegbewegt.

Bürgerkrieg in Mali

Denn in Mali herrscht derzeit ein Bürgerkrieg, der laut Uno seit März bereits 140.000 Menschen zu Binnenflüchtlingen gemacht hat. Die Vereinten Nationen - konkret das Flüchtlingshochkommissariat UNHCR - haben daher alle Staaten aufgefordert, niemanden nach Mali zurückzuschicken. Bis auf Weiteres, also nicht jetzt.

Dem ist Österreich nicht nachgekommen - und das ist eine Premiere. Empfehlungen wie diese wurden bisher immer befolgt, zuletzt etwa im Fall Libyens und Syriens*. Und nun? "Wir teilen die Einschätzung des UNHCR nicht", verkündete ein Innenministeriumssprecher - nicht ohne zu betonen, dass für Madu T.‘s Abschiebung die Fremdenpolizei Wien allein verantwortlich gewesen sei.

In Teilen Malis, etwa der Hauptstadt Bamako, so der Sprecher, sei die Lage ruhig. Offenbar weiß das Innenministerium hier mehr als der UNHCR: in de Uno-Empfehlung ist von rund 130.000 malischen Binnenflüchtlingen die Rede, 25.000 davon innerhalb Bamakos, wo sich Islamisten und Anhänger der gestürzten Regierung Anfang Mai Kämpfe geliefert hätten.

UNHCR-Anfrage an Innernministerium

Um zu erkunden, wie ernst Uno-Empfehlungen im heimischen Fremdenwesen noch genommen werden, hat sich UNHCR jetzt brieflich ans Innenministerium gewandt. Man bitte um Aufklärung. Auf die Auskunft dort kann man gespannt sein.

Die Frage ist, ob dem Ministerium für öffentliche Sicherheit und Ordnung der fremdenpolizeiliche Ehrgeiz, Blitzabschiebungen durchzuziehen, inzwischen wichtiger als bisherige internationale Gepflogenheiten sind. (Irene Brickner, derStandard.at, 2.6.2012)