Das Korruptionsexperten-Trio Felsenreich, Edelbacher und Kriechbaum über die weitverbreitete Bestechlichkeit: "Es gibt einen harten Kern, der unangreifbar ist, das schon." Aber das seien nur wenige Prozent in der Bevölkerung.

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"Im Sicherheitsbüro habe ich oft gesehen, dass hinter Korruption einfach Dummheit und Gier stecken", sagt Max Edelbacher.

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"Das klingt jetzt hart, aber: Völlig unbestechlich sind zum Beispiel extrem zwanghafte Neurotiker", sagt Karl Kriechbaum.

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"Daher bin ich der Überzeugung, dass fast jeder Politiker korrupt ist, weil er als Abgeordneter oder als Regierungsmitglied mehr im Interesse der Partei agiert als im Interesse des Staates", sagt Christian Felsenreich.

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STANDARD: Es gibt diesen düsteren Spruch: "Jeder ist käuflich - fragt sich nur, zu welchem Preis." Ist da was dran - oder gibt es schon auch viele, die völlig unbestechlich sind?

Edelbacher: Hm, gerade bei der Polizei haben wir damals etliche Idealisten gehabt - aber welche Reaktionen jemand in einer Notlage zeigt, kann man nie einschätzen. Etwa, wenn er Geld braucht. Daher bin ich pessimistisch: Es gibt einen harten Kern, der unangreifbar ist, das schon. Aber das sind vielleicht ein bis zwei Prozent der Bevölkerung.

Kriechbaum: Wenn die richtigen Verlockungen bei jemandem angesprochen werden, fällt bald wer um. Das klingt jetzt hart, aber: Unbestechlich sind zum Beispiel extrem zwanghafte Neurotiker, die sich strikt an Normen und Regeln halten, oder ganz spezielle Ideologen - also vielleicht fünf Prozent.

Felsenreich: Ich bin ein Anhänger der systemischen Sichtweise - und gebe keinen Tipp dazu ab: Das heißt, wenn das System, das Umfeld Korruption fördert, dann wird das für den Einzelnen normativ. Deswegen muss ein Staat darauf schauen, dass es nicht zu einer Erosion der Kultur kommt. Denn hat das einmal stattgefunden, ist das ganz schwer wieder rückgängig zu machen.

STANDARD: Sie alle drei arbeiten an einem Buch mit dem Titel "Der korrupte Mensch", halten auch Seminare dazu ab. Wer ist besonders anfällig für unmoralische Angebote?

Kriechbaum: Vor allem Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Diese Typen sind sehr auf Einfluss, Macht, Dominanz aus. Ihre innere Haltung lautet: "Ich bin etwas Besonderes, daher steht mir etwas Besseres zu." Andere gelten als null und nichtig. Darin liegt der Antrieb zur Korruption.

Felsenreich: Narzissten zeichnen sich also durch ihre Unfähigkeit aus, sich in jemanden hineinzufühlen. Bei Stellenausschreibungen etwa ist bei Führungspositionen oft "Durchsetzungsfähigkeit" gefragt. Der Narzisst sieht das ohnehin als absolute Notwendigkeit - und fragt sich erst gar nicht, wie das bei anderen ankommt. Daher müssen die Gesellschaft und auch Unternehmen wie Parteien darauf achten, wen sie zu ihren Führern machen.

Edelbacher: Als junger Beamter im Sicherheitsbüro - mein Einstieg waren damals Amtsdelikte, also Korruption - habe ich aber auch oft gesehen, dass einfach Dummheit, Gier und die Überzeugung "Ich werde eh nicht erwischt!" dahinterstecken. Etwa, als zwei junge Wachebeamte das Geld einer verstorbenen Frau in ihrer Wohnung einfach eingesteckt haben, die die Geldpackerln für ihre Enkerln zu Weihnachten schon auf dem Tisch hergerichtet gehabt hat.

STANDARD: Im U-Ausschuss richten sich die Korruptionsvorwürfe vor allem gegen Ex-Politiker, die ohnehin reichlich mit Status und Gehältern ausgestattet waren. Macht viel Geld oft noch gieriger?

Edelbacher: Durchaus. Das sieht man ja bei der Kriminalitätsbekämpfung: Wenn ich heute erfolgreich im Ladendiebstahl bin oder bei kleinen Betrügereien, dann werde ich mit jeder kriminellen Handlung, die mir gelingt und die nicht aufgedeckt wird, mutiger. Genauso passiert das dann auch im großen Stil, um mir damit Vorteile zu verschaffen. Wenn ich etwa wie der Graf Alfons Mensdorff-Pouilly ständig mit riesigen Beträgen agiere und dann fallen für mich immer mehr Prozent an Provision für Geschäfte mit Ministerien ab, verliere ich auch jedes Gespür und Gefühl und würde denken: Das steht mir zu. Derartige Umsätze lassen einen auch ethisch abstumpfen.

Kriechbaum: Viele vor dem U-Ausschuss haben Problematiken in sich. Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser etwa hat, wenn die Medienberichte stimmen, narzisstoide Tendenzen, auch eine gewisse Naivität. Natürlich kommen oft nur die in hohe Positionen, die über besagte Eigenschaften verfügen - die wissen auch, wie man Leute ausnutzen und Freunderlwirtschaft benutzen kann. Daher bin ich der Überzeugung, dass fast jeder Politiker korrupt ist, weil er als Abgeordneter oder als Regierungsmitglied mehr im Interesse der Partei agiert als im Interesse des Staates.

Felsenreich: Was bei den Grassers und Meischbergers im U-Ausschuss auffällt, ist, dass sie ständig mehr oder weniger unverblümt sagen: "Ja, das mit den Provisionen mag vielleicht nicht gut aussehen, aber das war alles rechtens!" Letzt endlich können sie die Frage nach der Kultur, nach der Ethik nicht über die Justiz stellen - weil ja eh alles juristisch gedeckt ist. Und darum wurde hier bei Privatisierungen offenbar agiert wie in der freien Wildbahn: Ein Tier wird erlegt - und jetzt informiere ich meine Bekannten, die sich ein möglichst großes Stück herausreißen dürfen.

STANDARD: Das Video, in dem Ernst Strasser als ÖVP-EU-Delegationsleiter Bereitschaft zeigte, sich gegen Geld für Gesetze in Brüssel stark zumachen, gab erstmals den Blick frei in die menschlichen Abgründe. Gäbe es für die Politik einfachere Integritätstests, um von vornherein festzustellen, welche Bewerber für ein Amt man vor sich hat?

Kriechbaum: Natürlich gibt es alle möglichen psychologischen Tests, aber auf diverse Fragen kann man sich gut vorbereiten. Wünschenswert wäre eine strenge Aufnahmetestung, bei der Referenzen aus dem Vorleben eingeholt werden. Ich würde sagen: Wenn jemand einen Ministerposten kriegt, dann muss man vorher auch in seiner Umgebung nachfragen: "Wie ist der Mensch? Was hat er bisher getan?" Erst dann erhält man ein gutes Persönlichkeitsprofil, allenfalls auch mit früheren Schandtaten.

Felsenreich: Strasser etwa hat die ÖVP deswegen nach Brüssel geschickt, weil auch er dieses "Durchsetzungsvermögen" hat. Man hat aber durchaus vorher gewusst, dass er in einem Wutanfall schon einmal Menschen Gegenstände nachgeworfen hat. Und dass er Leute coram publico quasi zur Sau macht. Jetzt könnte man nach dem Kriechbaum'schen Axiom sagen, dass das ein Ausschließungsgrund gewesen wäre. Weil man etwa nicht will, dass hier kleine Diktaturen oder zumindest sehr steile Hierarchien installiert werden.

Edelbacher: Als es 1998 die erste Antikorruptionskonferenz der Interpol in Lyon gegeben hat, haben die Deutschen damals - das sind ja immer die Perfektionisten - eine Indikatorenliste mit 66 Punkten vorgelegt, wie man Menschen prüfen kann, ob sie korruptionsanfällig sind. Bei 20 Punkten war bei denen angesagt: "Da brennt der Hut!" Das waren etwa auffälliger Lebenswandel, teure Autos, teure Anzüge. Die pragmatischeren Engländer sind mit zwölf Indikatoren gekommen. Und die Österreicher, auch bezeichnend, sind dahergekommen und haben gar nichts gehabt. Was mir aber bis heute auffällt: Bei der Auswahl von Polizisten legen wir zwar am Beginn ihrer Karriere sehr viel Wert darauf, dass sie sauber sind. Aber nach zehn Jahren schaut niemand mehr, ob der Mensch noch verlässlich ist.

STANDARD: Glauben Sie, dass der U-Ausschuss den Korruptionssumpf trockenlegt, wie manche seiner Mitglieder nun versprechen?

Kriechbaum: Nein, das ist unmöglich. Denn je höher man in einem System aufsteigt, desto mehr Geld verdient man - und das ändert auch die Zustände im Gehirn. Das sieht man bei Börsianern, die immer noch höhere Summen brauchen, um Lusthormone auszuschütten, damit sie sich wie ein kleiner Gott fühlen. So ähnlich ergeht es auch vielen Regierungsmitgliedern, die nur in den besten Autos herumfahren und von den Leuten hofiert werden.

Korruption ist also dem Menschen immanent. Der Mensch meint es gar nicht böse, er ist einfach so. Ich habe in den letzten 30 Jahren etwa 20 Abgeordnete therapiert, und es zeigt sich auch bei ihnen, dass sie teilweise allein bei der Aussicht, eines Tages nicht mehr in ihrem Sessel zu sitzen, Ängste und Depressionen kriegen. Quasi: "Der Kick ist weg. Das wird ein ödes Leben!"

Felsenreich: In diesem Zusammenhang kann man auch Einstein zitieren, der gesagt hat: "Das Problem in der Welt ist nicht das Böse, das wird es immer geben. Das Problem ist, dass die Masse es zulässt." Die Psychologie sagt dazu, dass der Masse eigentlich ein gesunder Narzissmus fehlt und dass sie deswegen gerne unkritisch ihre Sehnsüchte auf eine Führungsfigur überträgt. Und da schließt sich dann der Kreis.

Edelbacher: In einem muss ich euch jetzt aber widersprechen: Der Strasser ist für mich das personifizierte Böse. Ich glaube jedenfalls, dass es das Böse gibt. Denn als Polizist habe ich allzu oft Personen vor mir gehabt, die durchaus mit Lust, Freude und Vorsatz kriminell waren. (Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 2./3.6.2012)