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Das Land wird im großen Stil für den Anbau von Soja herangezogen.

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Landlose in Paraguay: Aurelio Bustamante ist der Sprecher der Siedlung. Seit den 1990ern hat er schon einige Räumungen miterlebt - die letzte vor einem Jahr.

Foto: Gerhard Dilger

Es ist ein alltäglicher Anblick in Paraguays wohlhabendem Osten: Beiderseits einer gut geteerten Schnellstraße erstrecken sich Dutzende Bretterbuden, einige sind mit einer rot-weiß-blauen Nationalfahne geschmückt. 130 Landlosenfamilien wohnen hier, etliche schon seit 13 Jahren.

Gleich hinter dem Schulgebäude mit drei engen Klassenzimmern erstreckt sich das 2500 Hektar große Anwesen eines "Brasiguayos", eines schon lange in Paraguay ansässigen brasilianischen Sojafarmers. Ein paar Quadratmeter davon nutzen die Landlosen für Gemüsegärten und einen Fußballplatz. Auf den ersten Blick wirkt alles friedlich. Doch wegen der boomenden Weltmarktpreise für Soja tobt der Landkonflikt zwischen den Großgrundbesitzern und den Kleinbauern erbitterter denn je.

"Der Brasilianer hat sich seine Landtitel betrügerisch erschlichen", sagt Aurelio Bustamante, der Sprecher der Siedlung. Über den Landtitel wird seit Jahren in der Justiz gestritten, der Sojafarmer soll ihn noch während der Diktatur von General Alfredo Stroessner (1954-89) von korrupten Beamten zugeschanzt bekommen haben. Es wäre kein Einzelfall.

Von der vorrückenden Sojafront überrollt

Bustamante war in den 1990ern das erste Mal mit seiner Familie von der unaufhaltsam nach Westen vorrückenden Sojafront überrollt worden. Seither hat er zahllose Räumungen erlebt, die letzte vor einem Jahr. Er klagt über korrupte Politiker und Justizbeamte, gegen die sei Präsident Fernando Lugo trotz guter Absichten machtlos.

Die proteinhaltigen gelben Bohnen bestimmen den Alltag in riesigen Landstrichen Argentiniens, Brasiliens und Paraguays. 116 Millionen Tonnen wurden 2011 in den drei südamerikanischen Ländern produziert, fast alles Gensoja. Im Sechs-Millionen-Land Paraguay machen Sojafelder bereits drei Viertel der gesamten Nutzfläche aus. Vor zwei Jahren wuchs die landwirtschaftliche Produktion um sagenhafte 50 Prozent.

Doch nicht nur brasilianische Agrounternehmen profitieren von dem Boom, sondern auch die Agromultis Cargill, ADM oder Bunge sowie Spekulanten und Investoren aus Übersee. So ist DWS, ein Agrarfonds der Deutschen Bank, am argentinischen Konzern Cresud beteiligt. Cresud wiederum besitzt zehntausende Hektar Land in Paraguay, ebenso in Brasilien und Bolivien. Dafür hat sich der Begriff Land-Grabbing eingebürgert.

Exportiert wird das Futtermittel Soja oder Agrodiesel auf Sojabasis zu zwei Dritteln nach Europa, aber immer mehr auch nach China und Indien. Für den fortschrittlichen Präsidenten Lugo kann Paraguay auf diese Devisen nicht verzichten. Dennoch hat die Agrolobby eine Besteuerung der Exporte wie im benachbarten Argentinien bisher verhindert.

Auch die Landreform, eines von Lugos Wahlversprechen, kommt nicht voran. Die wuchernde Korruption im Staatsapparat können der Präsident und seine Getreuen allerdings langsam zurückdrängen. In der Provinz Itapúa versuchen seit neuestem acht Umweltinspektoren, die Farmer zur Einhaltung der Gesetze zu zwingen. "Wir wollen das einheimische Saatgut schützen", sagt Inspektor Walter Lezcano, der tags zuvor ein Genmaisfeld zerstören ließ.

Gewaltfreie Aktionen und politisierte Jugendliche

Nicht nur auf die Artenvielfalt, sondern auch auf die Gesundheit der Landbevölkerung wirken sich die riesigen Gensoja-Monokulturen fatal aus: Wegen der wachsenden Resistenz von Unkraut gegen das Monsanto-Herbizid Roundup oder seine chinesischen Imitate wird immer mehr versprüht, tausende Kleinbauern werden durch die Schwaden oder Rückstände in Bächen vergiftet. Juana Cuba aus der Landlosensiedlung hat eine Totgeburt hinter sich. "Das kann an den Besprühungen liegen", vermutet die 31-Jährige.

Weil ihre Lage oft aussichtslos erscheint, sind in Paraguay immer mehr Kleinbauern zu gewaltfreien Aktionen entschlossen. Eindrucksvoll wird ihr Kampf gegen das schier übermächtige Agrobusiness in dem Dokumentarfilm Raising Resistance beleuchtet, der gerade in den Kinos anlief. "Unsere Jugendlichen wurden politisiert", berichtet der Protagonist Gerónimo Arévalos, "die Zahl derer, die gegen die Gentechnik und das Spritzen von Gift sind, steigt."

Was können die Verbraucher in Europa tun? Bernd Bornhorst vom katholischen Hilfswerk Misereor, das in Paraguay den Biolandbau für Kleinbauern und Indianer unterstützt, fordert eine generelle Reduzierung des Fleischkonsums sowie eine grundlegende Änderung der EU-Agrar- und Handelspolitik. "Die Gensoja-Importe müssten vollständig gestoppt werden", ist der Entwicklungsexperte überzeugt. (Gerhard Dilger aus Asunción, DER STANDARD, 2./3.6.2012)