Die Alltags- oder Namenskolumne an sich hat neben ihrer konservativen Funktion keine andere Funktion. Abgesehen davon, die Langeweile zu zerstreuen, die Zeit totzuschlagen und den Leser dabei in seinem So-Sein zu bestätigen, leistet die Kolumne streng genommen überhaupt nichts. Die Namenskolumne, sei sie nun von Polly Adler oder Klaus Nüchtern, sagt zu ihrem jeweiligen Segment hin: "Ich bin so, wie ihr seid, und ihr seid gut." Das hat seinen positiven und seinen negativen Wert. Jedenfalls verträgt es die Namenskolumne als Spitze der gesellschaftlichen Selbstaffirmation schlecht, wiederum bestätigt zu werden, und fordert in ihrer reinen Existenz schon unsere Kritik heraus. In der Namenskolumne wird schlechterdings nichts verhandelt. Sie ist reine Reflexion, die bloße Bewegung von nichts zu nichts und daher zu sich selbst zurück.

Gerade weil Klaus Nüchtern darüber Bescheid weiß, weil es ihm erlaubt wird, Kolumnen zu schreiben, und weil sein Name ihn dazu zwingt, Kolumnen zu schreiben, schreibt er Kolumnen. Weil er uns aber ärgern und verunsichern will, schreibt er sie auch noch gut. Worum es hier also gehen muss, ist nicht dieser neue Kolumnenband, der schlecht ist, weil alle Kolumnen an sich etwas Schlechtes sind, sondern der Mensch Klaus Nüchtern selbst. Und der ist, das kann gesagt werden, erst einmal gut. Er ist gut, weil er Adorno mit Schmalzbrot liest, weil er seine Heiterkeit im Regellosen ausbreitet, weil er bei aller Pointiertheit jedes Mal noch auf die Schlusspointe verzichtet hat, weil er im Innersten weiß, dass Kolumnenschreiben vollkommen pointless ist. Und nicht zuletzt, weil er Überschriften zustande bringt wie: "Ich habe meine Tuchent weggeräumt."

Nüchtern meint: "Chili con Carne geht jetzt wieder." Dazu heißt es dann: "Ich fordere eine sofortige Aufhebung des Chili-con-Carne-Moratoriums!! Auch Spaghetti Bolognese sollte wieder als très chic gelten, und Bistros mit dem Namen Très Chic oder, noch besser, Très Chique sollten aus dem Asphalt wachsen."

Warum das so sein sollte? Kaum zu sagen. Wahrscheinlich, weil es große Freude bereitet, eine neue Ära auszurufen und weil der Tonfall es verlangt. Oder vielleicht, weil es sich Nüchtern zur Aufgabe gemacht hat, das Unschlitt unseres Kulturumsatzes zu retten, sozusagen die Globalisierungsverlierer der vagabundierenden Aufmerksamkeitsressourcen: den Donauturm zum Beispiel, oder Simmering. Diesen Undingen widmet sich Nüchtern mit Vorliebe, gerade so, als ginge es um alte Schulfreunde, deren Verlust man mehr betrauert, als einem lieb ist.

Wer jetzt fragt, warum hier jemand seinen Scharfsinn so bereitwillig vor den Hund der bloßen Zerstreuung wirft, dem könnte man antworten, dass das alles einer Ökonomie der Verschwendung folgt. Wir können uns das leisten - es geht uns gut. (DER STANDARD, Printausgabe vom 21./22.6.2003)