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Dirigent Sir Simon Rattle umrahmte die Inszenierung von Peter Sellars mit einer musikalischen Qualität, die zwischen Trauer und Leichtigkeit changierte

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Dirigent Sir Simon Rattle und Regisseur Peter Sellars loten beim Festival in Glyndebourne Mozarts "Idomeneo" aus: eine unendliche Operngeschichte mit delikatem Klangzauber.


Am Ende ist es der wohl längste Idomeneo der Welt. Und dass nicht nur, weil in Glyndebourne das Picknick-Drumherum der Musikfreunde auf dem sprichwörtlichen englischen Rasen rund um das südenglische, private Festspielhaus mit dazugehört. Von halb fünf Uhr nachmittags bis abends zehn - da bleibt selbst bei knapp zwei Stunden Pause noch jede Menge Mozart übrig. Und es hätte am Ende, als die Ballettmusik, die Sir Simon Rattle und Peter Sellars dem "lieto fine" folgen (und tanzen) ließen, dann auch noch weitergehen können.

Denn vor allem Rattle und das Orchestra of the Age of Enlightenment können mit ihrem Klangzauber im holzverkleideten Theater mit seiner "Glücksfallakustik" schon süchtig machen. Rattle entfesselt dabei nicht den Klangfuror dieser grusligen Geschichte um die Beinaheopferung eines Königssohnes, sondern er macht die unendliche Traurigkeit der in schicksalshafte Bedrohung Verstrickten hörbar, mit einer fast zärtlichen Einfühlsamkeit noch im letzten Rezitativ.

Besonders aber umspielt und trägt Rattle die Trauer, die Verzweiflung und das Leiden an sich selbst: bei Idomeneo, der dem Gott Neptun das Versprechen gemacht hatte, ihm das Leben des ersten Menschen, der ihm nach seiner Rettung am Strand begegnet, zu opfern, und dessen Betroffenheit (als dies sein Sohn ist) bei Philip Langridge zunehmend überzeugt. Bei diesem Sohn, Idamante, den Magdalena Kozená, gegen alle Attacken von Mark Boumans Blaumann-Kostümierung, mit jungenhaftem Leuchten zum Star der Produktion macht. Und beim eher duldenden Hoffen von Idamantes Liebe, der gefangenen trojanischen Prinzessin Ilia, von der Christiane Oelze allzu glatten Schmelz fern hält. Wenn das einstige Regie-Enfant-terrible Peter Sellars Idomeneo in Szene setzt, dann ist das längst nur noch ein begrenztes "Risiko". Zwar lässt er Ilia zu Beginn vor schwarzen ("kriegs-zeitgemäßen"!) Leichensäcken klagen, Idamante und seine Soldaten in blutverschmierten Uniformen auftreten.

Und auch das Anzugszivil des Königs, seines Beraters und des Priesters verweist auf die höchst gegenwärtige Tragik der von der Politik einkalkulierten Menschenopfer, die hier auch durch den erlösenden Guru-Auftritt Neptuns (Jonathan Lemalu) nicht wirklich ins Erlösungsglück gewendet wird und die den im Rollstuhl in seine Pensionierung abgeschobenen Idomeno verzweifelt die Hände vors Gesicht schlagen lässt, obwohl er von seinem Glück singt.

Der zunächst (bedeutungsschwanger) mit zwei ovalen Öffnungen im gewölbten Ungefähr versehene, leuchtend rote Einheitsraum der ersten zwei Akte ist im dritten auf ein stilisiertes, sich verfinsterndes Gestirn reduziert. Mit einer Art Riss oder Abgrund im Boden, was im extensiven Beleuchtungsspiel eine "Wunde der Welt" sein könnte. Der bei aller Detailraffinesse der Gestensprache und choreografischen Chorbewegung bleibende Eindruck eines ausgeprägten Manierismus der Szene störte das Mozart-Glück indes nicht. (DER STANDARD, Printausgabe vom 21./22.6.2003)