Dass man über Veränderung sehr unterschiedlicher Ansicht sein kann, haben bereits die Philosophen Parmenides und Heraklit gewusst: Während Ersterer die Veränderung verneinte, sah Heraklit Veränderung als einzige Konstante. Doch selbst wenn wir Letzterem glauben, fällt uns Veränderung sehr schwer. Karl Kraus hat es, wie so oft, auf den Punkt gebracht: "Die stärkste Kraft reicht nicht an die Energie heran, mit der mancher seine Schwäche verteidigt." Das Dilemma liegt auf der Hand: Je notwendiger die Veränderung, desto resistenter das Veränderungsobjekt! Das gilt gleichermaßen für Menschen, Unternehmen und Länder.

Daher wundert es nicht, dass sich "Change-Management" zu einer eigenen Wissenschaft entwickelt hat. Philosophen, Soziologen und Managementgurus versuchen den Hindernissen auf die Spur zu kommen und neue Wege und Methoden aufzuzeigen. Die Ergebnisse sind indes mäßig: Studien zufolge sind nur zehn Prozent der Change-Management-Projekte erfolgreich, und in nur 27 Prozent der Fälle haben sich die Erwartungen an Reengineering-Initiativen erfüllt.

Warum fällt das Verändern so schwer? In jedem Veränderungsprozess kämpft man auf zwei Ebenen: der - individuellen - Wahrnehmungsebene und der - kollektiven - Handlungsebene. Diese erfordern unterschiedliche Führungsfähigkeiten. Um individuelle Veränderungsbereitschaft zu erzielen, sind Kommunikationsqualität und Vertrauensaufbau entscheidend. Notwendigkeit und Richtung der Veränderung müssen für jeden Einzelnen erkennbar und nachvollziehbar sein. Rationale Einsicht muss mit der emotionalen Bereitschaft kombiniert werden. Nur wer das Veränderungsobjekt zum -subjekt macht, gewinnt.

Externe Schocks "helfen" - akute Krisenzeiten sind daher, was Veränderungsbereitschaft angeht, sehr produktiv: Das zeigte Gillette nach der drohenden Übernahmegefahr Mitte der Achtzigerjahre, Adidas nach dem Übernahmeschock durch Tapie oder die Airline-Industrie nach dem 11. September. Aber was ist mit der Veränderungsfähigkeit?

Wirksam wird die Veränderung erst, wenn sie von der gesamten Organisation umgesetzt wird. Gerade dieser Prozess ist langwierig, weil er in kleinen, inkrementalen Schritten vom gesamten Team vollzogen werden muss. Dafür ist konsequentes Projektmanagement mit klaren Zuständigkeiten und eindeutigen Prioritäten entscheidend. Teambildungs- und Prozessführungsfähigkeiten sind gefordert.

Der "motivierende" Schock hilft hier nicht, sondern Kontinuität und Disziplin. Denn die Kunst des Change-Managements besteht gerade darin, Veränderungen zu realisieren, bevor sie überlebensnotwendig sind. Die Bedrohung spürbar zu machen, ohne dass sie bereits da ist - Andy Grove, Mitbegründer von Intel, hat es in seinem Buchtitel formuliert: "Nur die Paranoiden überleben." Die Botschaft: Unternehmen, die sich nicht kontinuierlich verändern, verlieren das, woran sie festhalten.

Wenn Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit heute einer der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren für Menschen, Unternehmen und Länder sind, wird die Lösung des Veränderungsdilemmas zur Überlebensfrage. Je kürzer die Produktzyklen, je schärfer der Wettbewerb, umso mehr gilt: Ohne Wandel keine Weiterentwicklung, ohne Weiterentwicklung kein Wachstum. Die Kraft, die uns das Verteidigen der Schwäche kostet, brauchen wir dringend: für die Entwicklung neuer Stärke.

Nachlese

-> Mit System und Köpfchen -> Ein Plädoyer für Strategie -> Wenn Manager autistisch werden -> Sag mir, wo die Frauen sind ... -> Ich google - Sie auch? -> Die Demokratisierung des Luxus -> Abschied von der AG? -> Die Geheimnisse des Phoenix -> Siegen à la Alinghi -> Anleitung zum Glücklichsein -> Die Suche nach dem Mehr -> Lust auf Leistung -> Eine doppelte Melange -> Sei willkommen Krise? -> "Denk' ich an Deutschland..." -> Gegen die Endzeit-Stimmung