Durch den ersehnten Temperaturanstieg wandeln sich auch die Gefühle. Weg von den Frühlings- hin zu Sommergefühlen. Der Asphaltboden wird heiß, die Pediküre hat Hochsaison. Die Prater allee ist wie immer zu schnell abgeblüht und brütet bösartig stachelige Früchte aus, die im Herbst kleinen Kindern und großen Hunden auf die Köpfe stürzen werden. Die Kinder bekommen dann Fahrradhelme, die Hunde nicht. Die schönsten Bikinis sind plötzlich nur noch in Größe 34/36 zu haben.

Die Hand gleitet übers Bein, die Fingerspitzen ertasten wiedergängerische Borsten. Wenn wir ehrlich sind, nicht nur dort. Wenn man sich richtig die Blöße geben will, ohne sich Blöße zu geben, setzt man auf manierliche Enthaarung. Spätestens ab Jg. 1985 beiderlei Geschlechts. Auch wenn man die Jolesch zitiert bis zum Umfallen: Der junge Mann enthaart sich gnadenlos. Dafür gibt es für Quereinsteiger u. a. Enthaarungscremen, Wachsorgien, die elegant-simple Rasur.

Eine korpulente Freundin möchte therapiebedingt in den Nacktbadebereich. Ich finde das unterstützenswert und gebe Nachhilfe. Am Tag darauf droht sie mir mit Anwalt, weil sie sich dank meiner Anweisung beinahe genitalverstümmelt hätte. Ich frage entsetzt nach. Erfahre, dass aufgrund der körperlichen Begebenheiten Blindflug eingesetzt wurde. Man möchte meinen, Männer hätten es mit der Rasur leichter: mitnichten. Die Schwierigkeiten liegen aber woanders. In der Kindergruppe eines Freundes gehen seit Wochen die Läuse um. Man wäscht, putzt, schockgefriert Stoffbären in der Tiefkühltruhe, inspiziert Kinderhaar. Zählt Läuseeier. Dann vergehen ruhige Tage und alles beginnt sisyphushaft von vorne.

Irgendwann wird man misstrauisch und fragt bei anderen Eltern nach: Und siehe da, ein Kindergruppenvater ist unbehandelt und ungewaschen, aber überzeugt, läusefrei zu sein. Ihm fehle die Resonanz zu Ungeziefer. Der Lausesoteriker wird fast gelyncht, entschlägt sich aber aller Vorwürfe. Fordert Unschuldsvermutung. Will den Gegenbeweis antreten. Kündigt ein öffentliches Kahlscheren im Kindergarten an. Es fällt Haarsträhne um Haarsträhne, die Spannung steigt. Man zweifelt bereits an den Anschuldigungen. Glattrasierten Kopfes steht er triumphierend auf. "Entspannt euch," sagt er, während die versammelten Eltern noch fassungslos die fette Laus anstarren, die sich in letzter Agonie an seinem Hinterkopf festgesaugt hat.

Und nun zu etwas ganz anderem: Bis 3. 6. läuft das Let's-CEE-Filmfestival, empfohlen und oscarnominiert In Darkness (31. 5., 1. 6., 2. 6. Apollokino). Großartig: Siberia, mon amour (31. 5. 21.00, Urania, 1. 6., 18.00, Apollo, 3. 6., 16.30, Apollo, jeweils in Anwesenheit des Regisseurs Slava Ross) (Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 2./3.6.2012)